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1. Frauengestalten - S. 32

1898 - Wiesbaden : Behrend
— 32 — seine Herrschaft zu verlieren, der Augenblick schien nicht fern, wo man die französische Besatzung durch Hungersnot gezwungen, sich ergeben zu müssen. Der König war in einer ganz verzweifelten Lage; nur et» Wunder schien ihn retten zu können, und ein Wunder hat ihn gerettet. Im Augenblicke des höchsten Elends, wo alle menschliche Hilfe erschöpft schien, trat ein sonderbares Ereignis ein, welches dem bedrängten Könige, dem verzagten Heere und dem niedergebeugten französischen Volke Erlösung bringen sollte: die Jungfrau von Orleans erschien, um Frankreich von Schmach und Elend zu retten. Am oberen Laufe der Maas, an der Grenze von Lothringen und der Champagne liegt zwischen grünen Matten und waldumkräuzteu Hügeln das Dörfchen Domremi. Hier würde am Dreiköuigstage des Jahres 1412 in einem ärmlichen Bauernhause dem Bauer Thibaut b’Arc eine Tochter Johanna b’Arc geboren. Vor allen Mäbchen im Dorfe zeichnete sie sich bnrch ihren kühnen männlichen Sinn ans und nahm den wärmsten Anteil an den bamaligen kriegerischen Vorgängen Frankreichs. Zwischen dem elterlichen Hause und einer walbigen Anhöhe staub eine uralte Buche, neben welcher ein klarer Quell aus dem Bobeu hervorsprubelte. Beibe, der einsame Baum wie das silberhelle Wasser waren im Glauben des Volkes geheiligte Orte. Mart glaubte, wohlgesinnte Feen hätten bort ihren Wohnsitz; und seit mtüorbenklicheit Zeiten suchten Fieberkranke in dem reinen Quellwasser Heilung. Hier hütete die heranwachsenbe Johanna, die an allen Geschäften des elterlichen Hauses teilnahm, des öfteren die Schafe ihres Vaters. Da saß sie nun so manches mal bet ihrer Heerbe unter jener Buche in tiefes Nachdenken versunken über die kriegerischen Vorgänge in ihrem Vaterlande. Es blutete ihr das Herz, wenn sie von der Gefahr des Königs, von der Not des Vaterlandes hörte und wenn die Landlente in banger Sorge davon redeten, welch traurigem Schicksale Frankreich unter dem Joche der Fremdherrschaft entgegengehe. Und wenn sie sich so lebhaft in diesen Zustand »ersetzte — Johanna mochte damals etwa fünfzehn Jahre zählen — so war es ihr, als ob sie in den Zweigen des geweihten Baumes Seufzen und Weinen und in dem Murmelu der Quelle heilige Stimmen vernehme. In ihrer starken Einbildungskraft sah sie einst ein helles Licht von jenem Baume herabstrableti und himmlische Boten hörte sie zu sich sprechen; sie alle forderten sie zur rettenden That auf; sie glaubte den Ruf zu vernehmen: „Geh zum König, errette ihn von seinen Feinden und führe thu zur feierlichen Krönung nach Rheims, der alten Krönungsstätle der französischen Herrscher." Ihre Gedanken und Träume wurden ihr zu göttlichen Offenbarungen. Ihre Eltern ängstigten sich ihretwegen und suchten sie von der Erfüllung ihres Vorhabens abzuhalten. Manche verlachten sie auch.
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