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1. Aus der Heimat - S. 277

1910 - Nürnberg : Korn
— 277 — alt und viele Wachssiegel hingen daran an Schnüren. Das Papier stibitzte der Bub, wie niemand hinsah, lief damit davon und zerschmolz das Wachs und machte aus dem Pergament ein Spielzeug. Den ganzen Winter redeten wir vom Kommissär, bis er eines Tages plötzlich da war. Draußen vor dem Klostertor hielt die Kutsche; er stieg heraus mit einem Schreiber und grüßte den Abt, der ihn blaß an der Pforte erwartete. Und dann kam er in den Speisesaal, und wir standen alle zwanzig um ihn herum. Langsam öffnete er die Mappe, langsam nahm er ein Schriftstück heraus und las uns vor, was wir ohnehin schon wußten, daß es aus sei mit dem Kloster, daß wir fort müßten und eine magere Pension bekämen. Es war uns als läse er unser Todesurteil. Der Kommissär ließ die Kutsche umkehren und blieb gleich da. Er ging von Zelle zu Zelle, von Saal zu Saal, in die Klosterkirche und in die Sakristei, in den Viehstall und in die Klosterscheuer, in den Keller und auf die Klosterhöfe; alle Schränke ließ er sich ausschließen, alles nahm er heraus, beschaute und schätzte alles und ließ es aufschreiben. Und er übernachtete im Kloster und nahm am andern Tage unserm Abt alle Zeichen seines Amtes ab, Pektoralen, Ketten und Ringe, und ließ ihm nichts als ein silbervergoldetes Pektorale, eine silbervergoldete alte Kette und einen gewöhnlichen Ring. Uns zwanzig blieb nur ein einziger Alltagskelch in der Sakristei. Und wie er mit dem Aufschreiben fertig war, fing er mit dem Einpacken an. Alles Kirchen- und Okonomiefilber, sogar das versilberte und vergoldete Kirchenkupfer, alle Möbel wurden im großen Abteizimmer zusammengetragen, in Kisten verpackt und nach München fortgefahren. „Weder Jnfnl noch Stab hat man mir gelassen," sagte der Abt. Da suchte der Kommissär eine der schlechtesten Abtsmützen heraus und einen alten hölzernen Stab, ganz dünn mit Silber überzogen, und übergab sie dem Abte. „Nach der Vorschrift," sagte der Kommissär, „erhalten L>ie ein silbernes Tischzeug, ein silbernes Salzbüchslein, ein Dutzend Servietten, Kommoden, ein Bett, einen «Bet* scheinel, einen Lehnsessel und sechs gewöhnliche Sessel." — „Hab Mir schon vier beiseite geschafft," sagte der Abt voreilig. „Gut, dann erhalten Sie nur mehr zwei," sagte der Kommissär und ließ die vier- anderen wieder auf den Wagen stellen und fortfahren. Im März begann der Kommissär mit der Versteigerung. Eine Menge Käufer kamen. Aber wie viele Möbel wurden schon vorher verheimlicht und beiseite geschafft, förmlich gestohlen! Der Schneider vou Mannendorf und der rote Glaser Jäkel Schmid von Bruck waren
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