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1. Freiburger Lesebuch - S. 71

1912 - Freiburg im Breisgau : Troemer
— 71 — des Chores werden zwar auch viel bewundert, doch nicht so allgemein und so uneingeschränkt als dieses Turmgebilde, das uns, Dank seiner ragenden Höhe, allenthalben grüßt und durch seine Allgegenwart auf Schritt und Tritt uns beglückt. Wie oft erfreut er uns im Alltagsleben, wenn in einer Straßenflucht sein Anblick sich plötzlich bietet! Wir haben oft nicht Zeit ihn lange zu beschauen, aber wir sind schon erlabt durch das bloße Gefühl seiner Gegenwart. Wie auch der stumme Gruß eines Freundes im Straßenlärm uns beleben kann, so der Anblick des allvertrauten Gemäuers: Gott grüße dich, du trauter, du einziger Turm! Wie schön du bist! Wie schön, daß du da bist! Woraus aber erwächst uns diese Wärme der Empfindung, dies fast persönliche Verhältnis zu einem toten Steingebilde? Ein Hauptgrund ist jedenfalls des Turmes hohes Alter. Über sechshundert Jahre steht er nun schon über unserer Stadt. Er sah ihre bescheidenen Anfänge, wie er jetzt ihr amerikanisch hastiges Wachstum sieht. Gute und schlimme Zeiten hat er mit seinen Freiburgern durchgemacht. Gar manches Mal hat froher Festesjubel ihn nmtönt; aber anch die Schrecken des Krieges hat er mehr als einmal zu seinen Füßen toben sehen. Die verschiedensten Herren sah er kommen und gehen. In der Stadt unter ihm hat es sich beständig gewandelt: er blieb der gleiche in all' den Jahrhunderten. Aus den rasch verblühenden Menschengeschlechtern ragt er ans wie ein Gebilde der Ewigkeit. Noch immer gibt es gottlob Seute unter uns, die empfänglich find für das geschichtlich Gewordene, für die ein so handgreiflicher, echter Gruß aus längst vergangenen Tagen etwas besonders Rührendes hat. Geschichtliche Weihe umschwebt für sie dies Tnrmgebilde, das längst ins Grab gesunkene Ahnen für sich und auch für uns gebaut. Und diese weihevolle Stimmung wird noch stärker, wenn wir uns gegenwärtig halte», unter welchen besonderen Umständen unsere Vorfahren diesen Turin zu stände brachten. Auch für die jetzige Große der Stadt ist das Münster ein gewaltiger Bau: aber nun gar für das kleine Gemeinwesen, das am Martinstor und Karlsplatz, am Bertholdsgymnasium und Schwabentor seine Grenzen hatte! Und Freiburg war damals keine freie Reichsstadt, keine Residenz eines mächtigen Bischofs wie etwa Basel, nicht im Besitz einer blühenden Hochschule, kein Mittelpunkt des gewerblichen Lebens, nicht günstig am Weltverkehr gelegen wie Straßburg oder Frankfurt. Nein, ein recht bescheidenes Landstädtchen mit beschränkten Mitteln, die Residenz eines mit ewiger Geldnot ringenden Grafengeschlechts und obendrein durch kriegerische Schicksale, durch Unfrieden in der Bürgerschaft schwer heimgesucht. Und dieses Städtleiu von wenigen tausend Einwohnern getraute sich ein so überaus kostbares und großes Gotteshaus aufzuführen! Was sind, verglichen damit, alle Leistungen der heutigen Stadtgemeinde, selbst das prächtige Theater mit inbegriffen? _ Lust am Bnueu ist allen Hcrrcnirnturcn eigen; sie ist die oberste Herrscherleidenschstft zu allen Zeiten gewesen. Wer noch je Großes in der
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