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1. Freiburger Lesebuch - S. 72

1912 - Freiburg im Breisgau : Troemer
— 72 — Welt geschaffen, besaß den Drang, Zeugnis davon auf die Nachfahren zu bringen — und was wäre dazu wohl geeigneter als die Werke der Ban-knnst? Die Freiburger des dreizehnten Jahrhunderts fühlten sich und durften sich fühlen. Ein frisches Leben regte sich auf allen Gebieten. Und im Vollgefühl ihres Wertes, ihres wachsenden Wohlstandes war es den damaligen Freiburgern selbstverständlich, daß ihre Kirche größer und schöner werden müsse als alle Kirchen der Nachbarschaft. Rein wirtschaftlich berechnet war ihr Beginnen kaum zu verantworten. Aber wer wagt sie deshalb zu tadeln? Irgendwo muß der Mensch den Geschäftsmann abstreifen, muß er ein glücklicher Schwärmer und seliger Verschwender sein; und es ehrt nusere Ahnen, daß sie zu Gottes Ehre und zum Ruhm des Städtchens sich freiwillig so schwere Lasten aufgebürdet haben. Wenn wir beim Anblick unseres Turmes an die Größe der Opfer gedenken, die allein ihn ermöglichten, an die Stärke religiösen Empfindens, ohne die er nie vollendet worden wäre, wenn so vor unserem Auge jene wackeren Vorfahren erstehen voll Selbstgefühl und Heimatliebe, voll Opfersinn und Glaubenswärme, dann erscheint das Denkmal so hoher Gesinnungen, daun erscheint uns der Turm noch eins so wert. Was wir bisher von dem Münsterturm rühmten, mag genügen, um seine Beliebtheit bei uns Einheimischen zu erklären; es genügt nicht zur Erklärung des Weltruhmes, den er genießt. Denn, um das gleich vvrwegzuuehmeu, es ist nicht etwa selbstgerechte, blinde Heimatliebe, die ans dem Turnt eine Meisterschöpfung macht. Nicht nur wir Freiburger schwärmen für ihn; auch die Fremden verfallen meist in diese Schwäche; ja auch unter den Kunstverständigen geht die allgemeine Ansicht dahin, daß von allen gotischen Türmen, ja vielleicht von allen Turmbauten überhaupt, kein zweiter als Kunstwerk so vollkommen ist wie der hiesige. Von dieser seiner Vollkommenheit als Kunstwerk muß jetzt die Rede sein. Was verlangen wir von einem Kunstwerk, damit es uns befriedigt? Ich denke bor allem, daß es seinem Zwecke gut entspreche. Zur Zeit des gotischen Stils hatten die Kirchtürme durchweg die Bestimmung, die Kirchenglocken aufzunehmen. Es läßt sich nicht leugnen, daß der unsrige dieser Bestimmung entspricht. Der Unterbau ist kräftig genug, um auch deu größten Glockenstuhl mit Sicherheit zu tragen; da aber, wo die Glocken hängen, öffnet sich der Turm in mächtigen Fenstern, die ursprünglich bis hinunter zu der den Turm umziehenden Galerie offen standen und also dem Schall freiesten Ausgang ließen. Der hölzerne Glockenstuhl, der sich innerhalb der Turmwände in vier Stockwerken erhebt, ist eine Sehenswürdigkeit für sich. Es ist noch heute der ursprüngliche Stuhl, also über 600 Jahre alt, vermutlich der älteste in ganz Deutschland. Daß er gleichzeitig mit dem Turm erbaut worden, läßt sich mit Sicherheit erweisen; ja er ist sogar etwas vor den ihn umgebenden Steinwänden entstanden, denn die Eichenpflöcke, welche an verschiedenen Stellen die in einander geblatteten Stämme ver-
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