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1. Freiburger Lesebuch - S. 73

1912 - Freiburg im Breisgau : Troemer
73 — binden, konnten so von außen nur eingetrieben werden, so lange bte steinernen Umfassungsmauern noch nicht stauben. Offenbar sollte das mächtige, aus herrlichen Föhren gezimmerte Gestühl während des Baues zunächst als Baugerüste dienen und hat als solches gewiß gute Dienste getan. Schwerlich ist der ganze Turm in einem Anlauf von unten bis oben aufgeführt worben. Das hätte mittelalterlichem Brauche ganz und gar nicht entsprochen. Zuerst baute man offenbar nur bis zum Glockenstuhl, erst später, als die Mittel in der Baukasse es erlaubten, in etwas veränbertem Stil den oberen Teil des Turmes. So erklärt sich am einfachsten die unterschiedliche Behandlung des Schmuckes oben und unten; denn so reich die Gliederung und Ausstattung oben ist, so arm, ja fast armselig ist sie unten. Und daß in der Gegend oberhalb des Zifferblattes ein neuer Baugedanke einsetzt, wird durch die hier umlaufende Galerie doch nur mangelhaft verhüllt. Wir werden uns also zu denken haben, daß eine Zeitlang das hölzerne Gerüst des Glockenstuhls mit seinen Glocken den oberen Abschluß des Turmes bildete. An solchen Anblick unfertiger Werke war das mittelalterliche Auge viel mehr gewöhnt als das unfrige. Glockenstuhl und Glocken zu tragen war aber natürlich nicht die einzige Bestimmung unseres Turmes: dazu brauchte er nicht so hoch emporgetrieben zu werden. Er hatte vielmehr noch Größeres zu leisten: für die ganze Kirche sollte er das schmucke Gesicht abgeben, die Stelle des Haupteingangs sollte er bebeutungsvoll zieren. Als mächtiges Signal an der Gotteshauspforte sollte er die Gläubigen locken, sollte er weithin verkünben, daß hier ein Tempel des Höchsten sei. Alles, was der gotische Kirchbau an ftrebenben Kräften besitzt, der mächtige Drang nach oben, der sein schönster Vorzug ist, im Turm sollte er sich noch einmal in voller Stärke burchfetzen. Wie vortrefflich ist das in unserem Falle gelungen ! Wie jubeln bic Streben und Fialen, die am Schiff der Kirche nur zu mäßiger Höhe sich aufschwingen konnten, hier am Turm wie ein Springquell srei empor! Man denke diesen Turm einen Augenblick hinweg — und der Rest ist ohne Kopf und Krone, ein trostlos verstümmeltes Gebilde. Unser Wohlgefallen an dieser Leistung steigert sich, wenn wir auf die bewundernswerte Sparsamkeit aufmerksam werden, mit der unser Meister feinen 117 m hohen Tnrm ausgebaut hat. Eine massive Stein-masse wäre ja schließlich auch weithin sichtbar gewesen; auch die unter größter Materialverschwendung aufgetürmten Pyramiden entlocken ja dem Beschauer staunende Bewunderung: aber hier ist mehr, hier ist ein Schwereres geleistet. Mit den denkbar geringsten Massen hat der Freiburger Meister die größten Wirkungen erzielt; und dabei machen alle diese setngltedrtgen Pfeiler, alle diese durchbrochenen Gewände dennoch den Eindruck dauerhafter Festigkeit. Von dieser Sparsamkeit in der Materialverwendung bekommt man am besten einen Begriff, wenn man die Plattform über den Glocken besteigt und von hier den Blick nach oben lenkt.
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