1. Bd. 1
- S. 60
1885 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Richter, Albert
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
60
und verhieß ihm Hilfe. Darum stieg sie auch zum Olymp empor
und bat Zeus, daß er den Trojanern so lange Sieg über die
Griechen gewähre, bis die Griechen ihrem Sohne die verdiente Ehre
wieder erwiesen. Zeus versprach es, obgleich Hera, seine Gemahlin
und die Feindin der Trojaner, ihm dawider redete. Achilles aber
blieb von nun an bei seinem Zelte und ging nicht mehr zum Rate
der Männer und nicht mehr zur Schlacht, wie sehr sich auch das
Herz des Helden nach Feldgeschrei und Getümmel sehnte.
V. Zeus gedachte des Versprechens, welches er Thetis gegeben
und entsandte einen trügerischen Traum zu Agamemnon, um diesen
zu einer Schlacht zu bestimmen, in welcher Zeus die Trojaner siegen
lassen wollte. Der Traum flüsterte mit schönen Worten dem Fürsten
ins Ohr, daß im Rate der Götter Trojas Untergang beschlossen
worden sei und daß in der nächsten Schlacht dem Heere der Griechen
der Sieg verbleiben werde.
Am Morgen teilte Agamemnon seinen Traum den Fürsten der
Griechen mit, und alle glaubten ihm; selbst der alte Nestor riet zur
Schlacht. Vorher aber wollte Agamemnon das Volk erst versuchen,
ob es auch voll Kampfmut und zur Schlacht bereit wäre. Darum
stellte er sich, als verzweifle er daran, Troja jemals einzunehmen,
und als habe er beschlossen, das Heer der Griechen wieder in die
Heimat zurückzuführen. In: stillen hoffte er, das Volk werde
diesen Plan verwerfen und nicht unverrichteter Dinge von Troja
abziehen wollen.
Aber er hatte sich getäuscht. Kaum sprach er von der Rück-
kehr in die Heimat, wo Weiber und Kinder der Helden warteten,
als das ganze Heer in hellen Jubel ausbrach. Alle stürzten zu den
Schiffen, um sie so schnell als möglich wieder ins Wasser hinab-
zulassen.
Troja wäre gerettet gewesen, und rühmlos wären die Griechen
heimgekehrt, wenn nicht Odysseus sich dem Volke entgegengestellt
und mahnende und drohende Worte an dasselbe gerichtet hätte.
„Haltet ihr", sprach er, „so euer Wort, daß ihr nicht eher von
dannen ziehen wolltet, als bis ihr Troja vertilgt hättet? Erinnert
ihr euch nicht, daß der Spruch der Götter uns vorhergesagt, wie
wir neun Jahre lang Troja vergeblich belagern würden, und daß
jetzt das zehnte, das Jahr der Eroberung, angebrochen ist? Wollt
ihr, daß Priamus sich rühme, die Griechen haben neun Jahre lang
vor seiner Stadt gelegen und seien dann rühmlos zurückgekehrt,
und wollt ihr Helena hier lassen, um die so viele Griechen schon
dem Tode zur Beute geworden sind? So harret doch wenigstens
eine kleine Weile noch miteinander aus; vielleicht, daß Trojas
Untergang ganz nahe ist."