1889 -
Berlin
: Nicolai
- Autor: Zurbonsen, Friedrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte, Brandenburg-Preussen
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4. Juli.
Um 8 Uhr früh abgereift*), das Herz voll Kummer. — Mit den Relais
erhielt die Königin einen Brief des Königs, der ihr sagte, daß er Harden-
berg entlassen müsse, weil Napoleon es peremptorisch verlange. Wie fchänd-
lich und schmachvoll ist das allein schon! Endlich kamen wir in dem Dorfe
Piktnpönen an; — Hardenberg kam gleich herbei, aber er ist ganz trostlos. —
6. Juli.
— Um 4 Uhr fuhren wir fort mit einer Eskorte der Garde du Corps
über die fliegenden Brücken, waren um 5 Uhr in Tilsit und stiegen in dem
Quartier des Köuigs ab. Eine Viertelstunde später kam Napoleon. Ich
empfing ihn mit der Gräfin Tanenzien am Fuße der Treppe. Er ist aus-
fallend häßlich, ein dickes, aufgedunsenes, brannes Gesicht; dabei ist er
korpulent, klein und ganz ohne Figur; seine großen runden Augen rollen
unheimlich umher; der Ausdruck seiner Züge ist Härte; er sieht aus wie
die Inkarnation des Erfolges. Nur der Mund ist schön geschnitten, und
auch die Zähne sind schön. Er war äußerst höflich, sprach sehr lange Zeit
allein mit der Königin und dann fuhr er fort. Gegen 8 Uhr begaben wir
uns zu ihm, da er aus Rücksicht sür die Königin sein Diner srüher bestellt
hatte. Während der Tasel war er sehr guter Lauue und sprach sehr viel
mit mir. Nach Tische hatte er eine lange Konversation mit der Königiu,
die auch ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis derselben war. Gott wolle
geben, daß es zu etwas hilft! Wir kamen um Mitternacht nach Piktnpönen
zurück. —
7. Juli.
Als wir beim König abgestiegen waren, erfuhren wir von diesem, daß
Napoleon alles, was er am gestrigen Tage der Königin versprochen, bereits
widerrufen habe und selbst in der Härte seiner Forderungen noch weiter
gegangen sei, als er es vor der Zusammenkunft mit ihr gethan hatte.
Man sagte, Herr von Talleyrand sei schuld daran. Napoleon kam nicht
znr Königin, obgleich er zweimal an ihrem Hause vorübersuhr, und wir
jedesmal umsonst hinuntergehen mußten, in der Erwartung, er werde aus-
steigen. Später kam der General Barbier, der die Königin zum Diner
einlud. Wir fuhren sogleich hin, und Barbier begleitete die Königin.
Napoleon sah verlegen und zugleich tückisch und boshaft aus. — Die Kou-
verfation war allgemein sehr gezwungen und einsilbig. Nach Tische sprach
die Königin noch einmal allein mit Napoleon; beim Fortgehen sagte sie
ihm, sie werde abreisen und empfinde es tief, daß er sie getäuscht habe.
Meine arme Königin, sie ist ganz in Verzweiflung! —
29. Juli.
Die Majestäten waren dreimal während des heutigen Tages bei mir.
Abends blieb der König noch lange allein da, als die Königin fort war.
') Nach Tilsit, auf den Wunsch des Königs.