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1. Bis zum Interregnum - S. 9

1910 - Leipzig [u.a.] : Kesselring
— 9 — Die Römer nannten sie Barbaren, und sie hatten Ursache, ihren wilden Blick und ihre wilde Kühnheit zu fürchten. Gewiß konnten die Germanen, wenn ihre ungebändigte Leidenschaft, ihre Wut hervorbrach, furchtbar* werden, und sie konnten dann alles, was ihnen feindlich war, mit der Vernichtung bedrohen, und doch blickten die Römer nicht mit Verachtung auf sie. Im Gegenteil, ihnen gefiel die germanische Stattlichkeit und die Reinheit ihrer Sitten, so daß sie sogar Wohlgefallen an ihnen fanden. Im germanischen Charakter paarte sich mit der trotzigen Kühnheit seelische Weichheit, die ein Ausfluß der Tiefe ihres Gemüts war. Die heute an den Deutschen vielfach zu beobachtende Gutmütigkeit und Vertrauensseligkeit, die von andern zuweilen als Schwäche ausgelegt worden ist, war schon den alten Germanen eigen. Gemüt verrieten sie in ihrer Liebe zur Natur. An dem Rauschen des Waldes, an dem Flüstern der Blätter, an allen Vorgängen in der Natur nahmen sie lebhaften inneren Anteil. Das lange Waldleben weckte die Regungen der Seele, belebte die Phantasie und vertiefte die Ehrfurcht vor höheren Wesen, die sie in der Natur als dunkle geheimnisvolle Kräfte sich wirksam dachten, weswegen sie an sie glaubten. So entwickelte sich in ihnen ein tiefes Innenleben, durch das die Deutschen zum Volk der Dichter und Denker geworden sind, was ihnen anderseits aber auch die Bezeichnung der Träumer eingebracht hat. Das tiefe Innenleben hatte jedoch auch eine gewiffe Verschlossenheit, ein Fürsichsein zur Folge, was sie hinderte, sich zu einem großen Ganzen zusammenzuschließen und zu der verhängnisvollen politischen Zersplitterung führte. Gemüt verrieten die Germanen vor allem durch den Sinn für die Häuslichkeit und für das Familienleben; der war in ihnen namentlich lebendig geworden wegen des rauhen Klimas ihres Landes, das sie mehr ans Haus bannte als die Bewohner des warmen Südens. So war die Natur des Landes von großen Einfluß aus die Kraft und den Charakter der Germanen. In ihm waren die stärksten Gegensätze vereinigt, wilde Kühnheit und zügellose Leidenschaft einerseits, Weichheit und tiefes Gemüt anderseits. Wenn darin auch ein Zeichen der niedrigen Kulturstufe, auf der unsere Vorfahren damals standen, zu erblicken ist, so sind sie doch als Eigenart deutschen Wesens bis heute nicht ganz verschwunden. — Wir werden im weiteren Gelegenheit haben, die verschiedenen Eigenschaften des germanischen Volkes noch näher kennen zu lernen.
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