1893 -
Gütersloh
: Bertelsmann
- Autor: Klee, Gotthold Ludwig
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
23. Manch, der König der Westgoten, und Stilicho. 173
schon damals zusammengebrochen. Kein Opfer schien zu groß,
um Alarichs Freundschaft zu erhalten.
Stilicho fühlte dennoch, daß der Boden unter seinen Füßen
zu wanken begann. Die Schmeichler am Hofe umgarnten den
schwächlichen Honorius immer mehr; eine schlau angelegte,
weitverzweigte Hosintrigue brachte dem besten Manne Roms
den Untergang, dem man es nicht verzeihen konnte, daß er
ein Germane war. Ein gewisser Olympius, ein scheinheiliger
Heuchler, war die Seele der nichtswürdigen Umtriebe, die
gegen den großen Mann angesponnen wurden. Dem dummen
Kaiser brachte er den Wahn bei, Stilicho strebe für sich und
seine Familie nach dem Throne. Da beschloß man den Tod
desselben Helden, der Italien zweimal vom Untergang ge-
rettet hatte. Das edle Opfer der schnöden Bande durch-
schaute bald das ganze Gewebe von Lüge und Neid; Stilicho
entwich mit wenigen Begleitern nach Ravenna. Inzwischen hatte
der Kaiser selbst das Todesurteil des Mannes unterschrieben,
dem er alles verdankte und in dessen Hände sein sterbender
Vater ihn befohlen hatte. Briefe kamen in Ravenna an, in
denen den kaiserlichen Truppen daselbst der Befehl erteilt
wurde, den „Verräter" gefangen zu nehmen. Das erfuhr
indes Stilicho, sobald er die Stadt betreten hatte. Er
flüchtete sich in eine nahe Kirche. Trotz der Dunkelheit der
Nacht und einem stürmischen Unwetter hielten seine wenigen
Getreuen mit gezogenen Schwertern am Altäre die Wache um
den geliebten Herrn. Es wurde Morgen, und kaiserliche
Soldaten drangen in die Kirche. In Gegenwart des Bi-
schofcs schwuren sie, daß Stilichos Leben geschont werden solle.
Da verließ der Verratene die heilige Freistatt und folgte den
Schergen. Als sie aber vor der Kirche waren, zeigte ihr
Anführer ihnen einen kaiserlichen Befehl, in welchem Stilicho
wegen seiner „Verbrechen gegen- den Staat" zum Tode ver-
urteilt war. Eine Anzahl Germanen hatte sich vor der
Kirche versammelt; diese und das kleine Gefolge Stilichos
rissen jetzt die Schwerter aus der Scheide, um ihren Lands-
mann und Freund zu retten. Aber der hochherzige Mann
wehrte ihnen und gebot Ruhe. Und auch jetzt noch gehorchten