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1. Die vorchristliche Zeit - S. 72

1877 - Leipzig : Brandstetter
gegeben?" fuhr er den Hirten an. Dieser gestand vor Angst Alles. Jetzt ergrimmte der König in seinem Herzen über Harpagus und er gebot seinen Lanzenträgern, ihn sogleich zu rufen. Als Harpagus da war, that Astyages freundlich und sprach: „Sag' mir doch, lieber Harpagus, welchen Tod hast du dem Kinde angethan, das ich dir übergab, da cs meine Tochter geboren hatte?" Harpagus erschrak, und als er den Rinderhirten beim Könige erblickte, war er nicht mehr in Zweifel, daß die Sache verrathen sei. Darum erzählte er offen und frei heraus, wie er das Kind dem Hirten übergeben habe, daß dieser es tödten sollte. Astyages verbarg seinen Zorn und stellte sich, als wäre er hocherfreut, daß der Knabe noch am Leben sei. „Ich will ein Freudenmahl aus* richten," sprach er zum Harpagus, „und du sollst mit mir zu Tische sein. Zuvor schicke mir aber dein Söhnchen, daß es mit dem Cyrus spiele!" Da freuete sich Harpagus und schickte seinen Knaben, das einzige Kind, das er hatte. Aber Astyages nahm den Sohn des Harpagus, schlachtete denselben und zerschnitt ihn gliederweis: von diesem Fleisch bratete er einen Theil, den andern kochte er. So richtete er's schicklich zu und hielt es bereit. Als aber zur Stunde des Mahles die Gäste und darunter auch Harpagus sich einfanden, wurden die Tische vor dem Könige und seinen Gästen mit Lämmerfleisch besetzt, dem Harpagus aber sein ganzer Sohn aufgetragen, außer dem Kopf, den Händen und Füßen. Das lag beiseit in einer Schüssel verdeckt. Als nun Harpagus gegessen hatte, fragte ihn Astyages: „Nun, wie hat dir der Schmaus behagt?" — „Ganz vortrefflich," erwiederte fröhlich der Vater. „Weißt du aber auch," fuhr Astyages mit bitterem Hohne fort — „von welchem Wildpret du gegessen hast?" Und siehe, da brachten auf einen Wink des Königs die Diener eine verdeckte Schüssel, darin waren Kopf, Arme und Beine des gemordeten Knaben. „Kennst du das Wild?" sprach hohnlachend der König. Harpagus erbleichte, sein Vaterherz blutete, aber er durfte seinen Schmerz nicht laut werden lassen. Schnell faßte er sich und antwortete: „Es ist Alles gut, was der König thut." Aber im Stillen schwur er dem grausamen König furchtbare Rache. Nun ließ Astyages dieselben Magier wieder zu sich entbieten, die ihm das Traumgesicht gedeutet hatten. Sie beruhigten den besorgten König und sprachen: „Dein Traum, o König, ist nun in Erfüllung gegangen, denn dein Enkel ist zum König erwählt worden. Gut, daß er nur im Spiele König gewesen ist, denn er wird nicht zum zweiten Mal König werden. Ein Traum geht nur Ein Mal in Erfüllung." Astyages freute sich und ließ den Cyrus kommen und sprach: „Mein Sohn, ich habe dir großes Unrecht gethan, weil mich ein trügerisches Traumgesicht verführte, doch ein gutes Glück hat dich erhalten. Jetzt gehe freudigen Muthes nach dem Perserlande, ich werde dich geleiten lassen. Dort wirst du einen ganz anderen Vater und eine ganz andere Mutter finden, als den Hirten und seine Frau." Hierauf entließ er den Cyrus, der ganz erstaunt war über das, was er vernommen.
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