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1. Das Mittelalter - S. 92

1877 - Leipzig : Brandstetter
92 6. Harun al Raschid. Von den Kalifen, die in Bagdad ihre Residenz hatten, ist Harun al Raschid der berühmteste geworden; er ist der Held des arabischen Märchens und seine Regierung wird als das goldene Zeitalter des arabischen Reichs gepriesen. Er durchzog mit seinen Truppen Kleinasien und zwang den griechischen Kaiser zum Tribut. Um die Oströmer ganz zu unterjochen, faßte er den kühnen Gedanken, sich mit Karl dem Großen, dem Haupte des weströmischen Kaiserthums, zu verbinden. Er schickte daher an diesen mächtigen Herrscher Gesandte, die unter andern Geschenken auch eine kostbare Schlaguhr, die erste, die man bis dahin in Europa hatte, mitbrachten. Das Bündniß kam freilich nicht zu Stande; vielmehr griff Karl die Araber in Spanien an; aber immer zeigt ein solcher Antrag die große Staatsklugheit des Kalifen. Den vorzüglichsten Ruhm erwarb sich Harun al Raschid durch seine Liebe zu den Künsten und Wissenschaften; aber er belebte auch die Schifffahrt und den Handel der Araber, gründete eben so wohl Fabriken als Schulen und legte viele prächtige Paläste, Gärten und Wasserleitungen an. Die hohe Schule von Bagdad konnte mit der zu Alexandrien wetteifern. Der Hof des Kalifen war ein Sammelplatz von Gelehrten mancherlei Art; er selbst nahm noch Unterricht in der Beredt-samkeit, denn er bedurfte derselben zu den öffentlichen Vorträgen über den Koran, die er als Kalif halten mußte. Zum Lehrer seiner Söhne ernannte er den eben so gelehrten als freimüthigen Male k. Allein dieser war bereits mit Unterweisung der jungen Araber in der Moschee vollauf beschäftigt und sagte, er habe nicht Zeit, in den Palast des Kalifen zu kommen; Harun al Raschid möchte ihm seine Söhne nur in die Moschee schicken. Feimüthig sprach er: „Es ist besser, daß die Herren der Wissenschaft dienen, als daß die Wissenschaft den Herren dient." Der Kalif, weit entfernt, durch diese Antwort beleidigt zu werden, befahl seinen Söhnen, in die Moschee zu gehen und dort mit den Arabern niederen Standes den Unterricht des weisen Males zu empfangen. Die guten Ermahnungen, die der erste Kalif Abu-Bekr seinen gegen Syrien ausziehenden Heeren gegeben hatte, „Saatfelder und Fruchtbäume zu schonen und nicht mehr Vieh zu tödten, als zur Unterhaltung der Armee durchaus nothwendig sei," wurden nicht immer von den Arabern befolgt. Auch zu Haruns Zeit war dies der Fall. Einst trat eine Frau niederen Standes zu ihm und beschwerte sich bei ihm, daß die Soldaten ihren Feldern Schaden zugefügt hätten. Der Kalif, der auf die Klagen aller seiner Unterthanen hörte, suchte die Frau zu beruhigen und fragte sie, ob sie sich nicht der Stelle im Koran erinnerte, wo gesagt wird: „Wenn die Heere großer Fürsten ausziehen, müssen die Unterthanen leiden, durch ' deren Felder sie gehen?" — „Ja, Herr," erwiederte die bedrängte Frau, „aber wiederum steht auch im Koran geschrieben, die Wohnung derjenigen Fürsten soll wüste werden, welche Ungerechtigkeiten gut heißen."
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