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1. Bilder aus der vaterländischen Geschichte - S. 71

1893 - Dresden : Ehlermann
71 nach einem weichen Brot mit feinen garten, weißen Händen, nahm es auf und wollte essen, wie alle Kinder sind, die gerne in hübsche Sachen beißen, nach denen ihnen der Wille steht. Wie es nun einen Teil des weißen Brotes abbrach, ging da mit feinem Stabe des Kaisers Truchseß, welcher die Aufsicht über die Tafel haben sollte; der schlug zormg den Knaben aufs Haupt, so hart und ungefüge, daß ihm Haar und Haupt blutig ward. Das Kind fiel nieder und weinte heiße Thränen, daß der Truchseß gewagt hätte, es zu schlagen. Das sah ein auserwäytter yeld, genannt Heinrich von Kempten, der war mit dem Kinde au» Schwaben gekommen und dessen Zuchtmeister; heftig verdroß es ihn, daß man das zarte Kind so unbarmherzig geschlagen hatte, und er fuhr den Truchsessen seiner Ungebühr wegen mit harten Worten an. Der Truchseß sagte, daß er kraft seines Amtes allen ungefügen Leuten am Hofe mit fernem Stabe wehren dürfe. Da nahm Herr Heinrich einen großen Knüttel und spaltete des Truchsessen Schädel, daß er wie ein Ei zerbrach und der Mann tot zu Boden sank. Unterdessen hatten die Herren Gott gedient und gesungen und kehrten zurück; da sah der Kaiser den blutigen Estrich, fragte und vernahm, was sich zugetragen hatte. Heinrich von Kempten wurde auf^ der Stelle vorgefordert, und Otto, von tobendem Zorn entbrannt, rief: ,,Daß nietn Truchseß hier erschlagen liegt, schwöre ich an Euch zu rächen, bei meinem Barte!" — Als Heinrich von Kempten diesen teuren Eid ausfprechen hörte und sah, daß es fein Leben galt, faßte er sich, sprang schnell aut den Kaiser los und ergriff ihn bei dem langen, roten Barte. Damit schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, daß die kaiserliche Krone von Ottos Haupte in den Saal fiel, und zückte, als die Fürsten den Kaiser von diesem wütenden Menschen befreien wollten, fein Messer, indem er Laut ausrief: „Keiner rühre mich an, oder der Kaiser liegt tot hier!" Alle traten zurück; Otto selber in seiner Not winkte ihnen, zu weichen; der unverzagte Heinrich aber sprach: „Kaiser, wollt Ihr das Leben haben, so versprecht mir Sicherheit!" Der Kaiser, der das Messer an seiner Kehtc stehen sah, hob alsbald die Finger in die Höhe und gelobte dem edlen Ritter bei kaiserlichen Ehren, daß ihm das Leben geschenkt sein solle. Sobald Heinrich diese Gewißheit hatte, ließ er den roten Bart aus seiner Hand, daß der Kaiser aufstehen konnte. Dieser setzte sich ohne Zögern auf den königlichen Stuhl, strich sich den Bart und sprach zu feinem Peiniger: „Ritter, Leib und Leben habe ich Euch zugesagt; damit fahrt Eurer Wege! Hütet Euch aber vor meinen Augen, daß sie Euch nimmer wiedersehen, und räumet mir Hof und Land; Ihr seid mir zu schwer zum Hosgesind, und mein Bart möge immer bor Euer Schermesser meiben! Da nahm Heinrich von allen Rittern und Bekannten Urlaub und zog gen Schwaben auf fein Land und Felb, das er vom Stifte zu Lehen trug, und lebte einsam und in Ehren.
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