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1. Teil 2 - S. 87

1882 - Leipzig : Brandstetter
Deutsche Mystik im 14. Jahrhundert. 87 sie aus, „bin ich wieder hier?" Und nun empfing der Meister ihre Belehrung, alle Herrlichkeit Gottes schloß sich vor ihm auf und wie man dazu gelangen könne, lind sie redete soviel von Gott, daß ihr Beichtvater immerzu sprach: „Liebe Tochter, rede weiter." Und sie sagte ihm soviel von der Größe Gottes und von der Allmacht Gottes und von der Vorsehung Gottes, daß er von Sinnen kam und daß man ihn in eine heimliche Zelle tragen mußte und er da lange lag, ehe er wieder zu sich kam. „Tochter," sprach er, „gelobt sei Gott, der dich erschuf! Du hast mir den Weg gezeigt zu meiner ewigen Seligkeit. Nun flehe ich um der Liebe willen, die Gott für dich hat, hilf mir mit Worten und mit Werken, daß ich ein Bleiben da gewinne, wo ich jetzo bin." Sie aber erwiderte, das könne nicht geschehen, er sei noch nicht reif dazu, er würde rasend werden, wenn er es erzwingen wollte. Wie mußte einem Laien zu Mute werden, wenn er diese Erzählung las oder hörte. Der gelehrte Meister Eckard, der Stolz seines Ordens, der zu Paris die ganze theologische Bildung seiner Zeit eingesogen, der setzt sich selbst herab gegenüber einer einfachen Frau, die nichts aufzuweisen hat, als ihre unendliche, unaussprechliche Sehnsucht imch^ dem Höchsten, ihr nnbezwingliches Verlangen nach der Seligkeit, dem sie alles opfert. Also es war denkbar, daß ein Laie durch eigene Kraft und durch die Gnade Gottes einen Zustand der Vollkommenheit erreichte, um den ihn die gelehrtesten Geistlichen beneiden mußten. So kam denn dies noch hinzu zu den Geißlerfahrten, zu dem Ketzer-wesen: ein starker religiöser Drang der Laien, ein leidenschaftliches Aufwärtsstreben zu Gott, eilt schmerzliches Ringen nach der Seligkeit, aber ohne besondere Zeremonien, wie bei den Geißlern, ohne Empörung gegen die Kirche, wie bei den Ketzern. Es bildet sich am Oberrhein aus Laien und Geistlichen eine stille Gemeinde der Frommen und Gottergebenen, welche die wunderbarsten Erscheinungen darbietet. Man führt ein Leben, wie man es in den Legenden der Heiligen beschrieben fand. Strenge asketische Übungen werden vorgenommen, man sucht mit der Zurückziehung von allem Sinnlichen Ernst zu machen, man bemüht sich, überirdische Träume und Visionen zu haben. Diese sind niemals schreckhaft und ungeheuerlich, sie haben stets etwas Mildes, Anmutiges und Sanftes. In das religiöse Leben kommt ein neuer Zug der Innigkeit und ein Zug der Hingebung an die abstrakte Gedankenwelt. Die frommen Kreise treten mit einander in Beziehung, bestärken sich gegenseitig, tauschen ihre Erfahrungen aus, teilen sich in sorgfältiger Aufzeichnung Träume und Visionen mit, verbreiten erbauliche Schriften unter einander: alles ungefähr so, wie es in der pietistifcheu Gesellschaft des 18. Jahrhunderts üblich war. Sie nannten sich „Gottesfrennde", mit einem Ausdruck, den Eckard von solchen gebraucht hatte, die zur Vereinigung mit Gott durchgedrungen seien. Diesen Zustand der Selbstenttäuschung und der „Ver-
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