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1. Teil 2 - S. 322

1882 - Leipzig : Brandstetter
322 Der deutsche Volksgeist Ein Hauptübelstand war, daß es damals fast nirgends ein ähnliches berechtigtes und wirksames Organ zur Beseitigung politischer Mängel und zur Abhilfe von Beschwerden gab, welches die öffentliche Meinung hätte in Bewegung fetzen können, wie es heutzutage die Laudesvertretungen sind. Wer damals politisch wirken wollte, mußte sich wohl oder übel direkt an den allein gebietenden fürstlichen Willen wenden, diesen zu überzeugen, auf-zukläreu, zu gewinnen suchen. Hatte er es dabei mit einem vernünftigen Fürsten zu thun, fo mochte es genügen, demselben die Sachen so, wie sie waren, vorzustellen und von seiner Einsicht Abhilfe zu erbitten. War dagegen der Fürst eigenwillig, launisch, vorurteilsvoll oder eifersüchtig auf seine eingebildete Alleinweisheit, so mußte man versuchen, ihm auf krummen Wegen beizukommen, durch Benutzung seiner Schwächen, durch Schmeichelei, durch Verbergung der eigenen wahren Meinung und Heuchelung einer solchen, von der man glauben durfte, daß sie ihren Urheber am ersten der fürstlichen Beachtung empfehlen oder ihn doch dem Allgebietenden nicht verdächtig und verhaßt machen werde. Der Dichter Schubart, der die in Süddeutschland viel gelesene „Deutsche Chronik" herausgab, spricht darin selbst offen aus, „daß er oft lobe, wo er fchimpfeu möchte"; er nennt den Herzog von Würtemberg wieberholt den „großen Karl" und seine Karlsschule eine „Pflanzschule der Menschheit", während er gleichzeitig in einem Privatbriefe dieselbe Anstalt als eine „Sklavenplantage" bezeichnet. Wieland in seinem „Deutschen Merkur" erklärte es für „widersinnig", den Völkern ein Recht des Urteilens über die Regierung ihrer Obrigkeit zuzuerkennen und für ein „krankhaftes Symptom", daß die Schriftsteller „so stolze Blicke aus ihren Tonnen auf die Fürsten werfen." Ein seltsamer Wiberfprnch zwischen theoretischer Überschwänglichkeit nnb praktischer Verzagtheit charakterisierte die bamalige politische Denkweise der Nation. Man führte pomphafte Phrasen von Freiheit und Menschenrechten im Muube, aber man hätte nimmermehr den Mut gehabt, sür ein bestimmtes Staatswesen eine Umänberung der Verfassung als ein Recht ober eine politische Notwenbigkeit zu forbern. Ein Artikel der „Berliner Monatsschrift" forberte im Jahre 1787 die Fürsten auf, ihre Völker allmählich zur Selbstregierung zu erziehen und für die Republik reif zu machen. Die norherrfchenbe Richtung der beutfchen Bilbuug des vorigen Jahr-hunberts, die sogenannte Aufklärung, hatte ihrer Natur nach eine gewisse Neigung zur Verbesserung der menschlichen Znstänbe und zur Einführung reformatorffcher Jbeen nicht auf dem Wege der freien, allmählichen Selbst-entwickelung der Völker, sondern durch die Macht der Autorität, nötigenfalls auch der Gewalt. Die verständigeren unter den Fürsten sahen selbst ein, daß die unumschränkte Herrschaft, in deren Besitz sie sich befanden, gegenüber der wachsenden Bildung und Regsamkeit der Völker, sich nur dadurch behaupten und rechtfertigen laffe, daß sie im Sinne biefer Bilbuug und entsprechen!) dem, was die Zeit forberte, gehanbhabt werbe. Von den Befugnissen unumschränkten Herrschertums irgettb etwas aufzugeben, fiel
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