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1. Teil 2 - S. 452

1882 - Leipzig : Brandstetter
452 Deutsche Reichsgerichte. Geschichte des Kammergerichts in seiner maßvollen und plastischen Weise zu schreiben und einiges über die Visitation zu berichten. „Ein ungeheurer Wust von Akten", sagt er, „lag aufgeschwollen und wuchs jährlich, da die 17 Assessoren nicht einmal imstande waren, das Laufende wegzuarbeiten. 20000 Prozesse hatten sich aufgehäuft, jährlich konnten 60 abgethan werden und das Doppelte kam hinzu." Fast unbegreiflich fei es, „wie sich Männer finden konnten zu diesem undankbaren und traurigen Geschäft". — Andere fchlimme Schäden der alten Reichsgerichtsbarkeit waren die entsetzliche Weitläufigkeit und Endlosigkeit des Verfahrens. Man verhandelte in bündereichen Akten über Dinge, welche für die Entscheidung des eigentlichen Prozesses ohne alle Bedeutung waren. In einem Prozeß füllten die Aussagen der 684 vernommenen Zeugen Bände von 10 864 Blättern. Manches Referat war so langatmig gearbeitet, daß es mehrere Monate einen Senat beschäftigte. Hatten aber wirklich die Parteien endlich ein Urteil erlangt, wie schwer hielt es dann, besonders wenn der Verurteilte etwa ein Reichsgraf oder ein noch vornehmerer Landesherr war, dem Spruch die Vollziehung zu verschaffen. Bestand doch sogar gesetzmäßig die Möglichkeit, gegen das Urteil des höchsten Gerichts noch ein weiteres Rechtsmittel, die Revision, einzulegen und dadurch die Ausführung aufzuhalten; über die Revision sollten die Visitatoren des Reichskammergerichts zu befinden haben. Da nun aber zufolge dieser Bestimmung die Arbeitslast für die Visitatoren geradezu nicht mehr zu bewältigen war, überdies die Visitationen sehr unregelmäßig abgehalten wurden und gegen das Ende des 16. Jahrhunderts ganz fortfielen, so brauchte der Verurteilte nur das Rechtsmittel der Revision einzulegen, um die Rechtskraft und den Vollzug des Spruchs in alle Ewigkeit hinauszuschieben. Erst im Jahre 1654 wurde diesem Mißbrauch durch neue Bestimmungen gesteuert. Das Kammergericht war wohl ein Reichsgericht insofern, als es vom Kaiser und den Reichsständen besetzt wurde, aber es umfaßte nicht mehr ganz Deutschland. Die Kurfürsten und ebenso die Landesherren der großen Territorien strebten danach, ihre Länder gegen die Einwirkungen der kaiserlichen und der Reichsgerichtsbarkeit abzuschließen und erlangten in der That auch seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Privilegien, wonach ihre Unterthanen nicht vor den Reichsgerichten beklagt werden und gegen die Erkenntnisse ihrer Landesgerichte keine Berufung an die Reichsgerichte gestattet sein sollte. Ihr Beweggrund war sicherlich nicht der Wunsch, ihre Länder und Unterthanen vor den Mißbrauchen des Reichsgerichts zu schützen; — vielmehr wollten sie immer schrankenloser die Staatsgewalt in ihrem Lande ausbilden; sie wollten einen selbständigen Staat regieren, welcher sich um Kaiser und Reich nicht zu kümmern hat, in welchen von außen her keine Eingriffe stattfinden dürfen. In einem Reichskammergerichtsvisitationsabschiede vom Jahre 1713 wurde das Reichskammergericht angewiesen, „wider Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reichs auf deren Landsassen und Unter-
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