1905 -
Leipzig
: Freytag
- Autor: Zehme, Arnold
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
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Stelle (Kap. 13) sagt: „Doch die Waffen anzulegen, ist keinem durch die Sitte eher gestattet, als der Staat seine Kraft erprobt hat,“ so ersehen wir daraus, daß die Mündigkeit an kein bestimmtes Alter gebunden war, sondern daß der Jüngling mündig war, wenn er die Kraft besaß, mit dem Schwerte sein Eecht zu schützen und Beleidigungen zu rächen. So wurde dieser für das Leben des Mannes so wichtige Akt nicht durch schematische Gesetze eingeengt, sondern je nach der Individualität bei den einzelnen in verschiedenem Alter vollzogen. Ähnlich war es in späterer ritterlicher Zeit, in welcher die Mündigkeit zugleich mit der Ritterwürde bei der Schwertleite verliehen wurde. Starke Helden, wie Siegfried, erhielten das Schwert früh. Im Durchschnitt wurde man damals wohl mit 21 Jahren mündig. Der volljährige Königssohn konnte nun, wie Siegfried, Burgen und Land zu Lehen geben, er konnte, wie Ortwin, die Regierung an Stelle seines gestorbenen Vaters übernehmen, er hatte das Recht, sich, auch ohne seine Sippe zu fragen, zu vermählen; Ortwin vermählt sich nach dem Rachezuge, und Siegfried begehrt nach seiner Schwertleite lebhaft die schöne Königstochter aus Worms zur Gattin. Als eigener Herr fühlt sich letzterer, wenn er nach der Schwertnahme dem warnenden Vater kühn und keck erklärt, er müsse Kriemhild zum Weibe haben. Nach der Vermählung strebt er auch schon deshalb, weil der Thronfolger wahrscheinlich erst nach seiner Verheiratung den vom Vater freiwillig abgetretenen oder durch des Vaters Tod verwaisten Thron besteigen konnte. Siegmund tritt zu Gunsten des vermählten Siegfried zurück. Ger-lind bemüht sich vergebens, ihrem Sohn H a r t m u t eine ebenbürtige Gattin zu verschaffen; hätte Gudrun in die Ehe eingewilligt, so hätte der alte Ludwig sicherlich auch freiwillig ihm Krone und Zepter abgetreten.
Die Stellung der Vormundlosen: Wenn nun das Weib als Frau und Tochter sowie der unmündige Sohn auch völlig abhängig von ihrem Muntwalt waren, so war ihr Los doch immerhin noch bedeutend besser als dasjenige der Vormundlosen (weisen). Während unsere ,Waisenf nur der Eltern entbehren, fehlte jenen überhaupt jeder männliche, mündige Anverwandte, der ihr Recht vertreten und ihnen Schutz gewähren konnte. Durch den Untergang der Burgunden ward Brunhild eine weise. Da die Sippe den Vormundlosen nicht helfen konnte, so gab man sie dem Schutze des Königs anheim,