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1. Vom Kurhut bis zur Kaiserkrone - S. 162

1895 - Breslau : Goerlich
gehangenen Zettel aller Berliner Theater. Tann trat er sofort ins Arbeitszimmer, woselbst die Mappen der verschiedenen Behörden schon bereit liegen mußten. Bei verschlossenen Berichten benützte er stets die alten Briefumschläge zum zweiteumal und siegelte sie eigenhändig zu. Briefe, welche nicht aufbewahrt werden sollten, zerriß er bis auf das kleinste Stückchen. Bekannt ist, wie schwer der Herrscher ein gebrauchtes, ihm liebgewordenes Stück abzulegen zu bewegen war. So benützte er z. B. mit Vorliebe kleine weiße Taschentücher mit einem gestickten W und einer Krone, die er noch von der Königin Luise erhalten hatte. Vom Zahn der Zeit angenagt, mußten dieselben stets wieder sorgfältig ausgebessert werden. Alles, was vou der teuren Mutter stammte, hielt er hoch und heilig: einen kleinen, aus ihrem Haar gefertigten Ring legte er nie ab und war tief unglücklich, als derselbe ihm einmal vom Finger gefallen und nicht gleich wiederzufinden war. Das zweite Frühstück bestaud aus etwas kaltem Aufschnitt oder aus Kotelett mit Eiern, und im letzten Jahrzehnt trank er anstatt eines Glases Moselwein ein Glas Champagner dazu. Das Mittagsmahl, dessen Speisekarte von den Ärzten zusammengestellt wnrde, ehe sie zur Vorlage kam, mußte eiusach sein; der Kaiser aß gern, wie man zu sagen pflegt: Hausmannskost. Sehr häufig speiste er allein; der Diener brachte die Schüsseln, der hohe Herr legte sich selbst vor und klingelte, wenn er eineu neuen Gang wünschte; meist trank er zu Tisch einige Gläser mit Selterswasser gemischten Rotwein. Nach Tisch kam die Kaiserin, deren im ersten Stock gelegene Gemächer durch einen Fahrstuhl mit dem Bibliothekszimmer in Verbindung standen, meist hinab und blieb einige Zeit im Arbeitszimmer, wobei die beiden greisen Herrschaften wohl auch Arm in Arm, jedes anf einen Stock gestützt, im Zimmer umhergingen. Ein „Mittagsschläfchen" kannte der Kaiser in früheren Jahren nicht, erst in letzter Zeit kam es wohl vor, daß er beim Lesen der Zeitungen einschlummerte ; er sah es aber sehr ungern, wenn es bemerkt wurde. Am Abend fuhr der Monarch fehr gern ins Theater, wenn auch nur für kurze Zeit. Wenn er beim Fortfahren eine bequeme Feldmütze und einen Stock genommen hatte, so ließ er sich bei der Rückkehr, sobald auch nur eine Dame zum Besuch im Palais war, ehe er sich zur Kaiserin begab, stets Helm und Degen reichen. Abends nahm der Monarch den Thee gern bei seiner Gemahlin; es wurden ihm zwei Tassen mit Thee verschiedener Sorte präsentiert, welche er beide kostete, von denen er aber nur eine behielt. Dazu genoß er meist etwas Biskuit. War die Großherzogin von Baden, deren Gemächer im westlichen Teile des Palais lagen, in Berlin, so wurde der Thee auch dort eingenommen. In den letzten Jahren jedoch richtete es die vor-
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