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1. Lesebuch aus Gustav Freytags Werken - S. 47

1901 - Berlin : Weidmann
Das Mittelalter. (1100—1250.) 47 und Schicksal, auch von ihnen wußte der Sänger zu erzählen. Wahrscheinlich hatte der Germane schon von seiner ältesten Wanderung aus Asien Tiersagen mitgebracht; während aber bei den Griechen die Anekdoten, in welchen Tiere mit menschlicher Sprache reden und ihrer Natur gemäß handeln, nur benutzt wurden, um eine gute Lehre daran zu knüpfen, stellte der Deutsche das Waldleben seiner geheimnisvollen Nachbarn durch behagliche Geschichten dar, in denen Bar, Wolf, Fuchs, Kater und andere wohlbekannte Charaktere gesellt werden; diese Sagen waren den Mönchen so reizvoll, daß sie dieselben in größere lateinische Gedichte umformten, bereu Inhalt seit dem zwölften Jahrhundert zu umfangreichen deutschen Dichtungen erweitert wurde.1) Mit derselben Herzlichkeit betrachtete der Deutsche sein Verhältnis zu andern Menschen. Er war von je in ruhigem Zustande ein höflicher Mann gewesen und sehr empfindlich gegen Kränkung seines Selbstgefühls. Sich würdig darzuftelleu, jedem seine Ehre zu erweisen, das Gebührende zu geben und zu empfangen, war ihm eine wichtige Sache. Ein hübsches Beispiel dafür, wie leicht auch geistliche Herren gekränkt wurden, ist uns überliefert. Als um 885 Petrus, Bischof von Verona (?), bei der Heimkehr vom Königsfchloß unvermutet in das Kloster St. Gallen kam, nahmen ihn die Brüder galtfrei auf und gaben ihm als Gastgeschenk, was sie gutes hatten, nämlich ein Evangelienbuch. Er aber hielt sich für verachtet, weil der Ruf des Klosters sehr groß war, und grollte, weil das Buch nicht schön genug gemalt und gebunden sei. Als er die Messe leierte, wurde ihm ein silberner Kelch ausgestellt, der für ein gutes Ctücf des Kirchenfchatzes galt. Er beging die Messe und ärgerte sich auch über den Kelch. Man rüstete ihm ein reiches Mahl, und als er vom Tisch der Brüder aufstand, verlangte er sie anzureden. Sie wurden versammelt, — der Abt war abwesend, — und er sprach: „Gut habt ihr mich in Abwesenheit eures Abtes, meines Herrn, aufgenommen, aber daß ihr mir in dem Evangelium und Kelch so Gewöhnliches dargeboten habt, kränkt mich etwas. Denn obgleich ich selbst gering und unwert bin, so bin ich doch Bischos ^Gemeint ist z.b. der „Asengrinus" und besonders der „Reinhart A'ucfjs ^der in niederdeutscher Bearbeitung die Grundlage von Goethes „Reineke s^-uchs" geworden ist.
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