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1. Lektüre zur Geschichte des 19. Jahrhunderts - S. 13

1910 - Leipzig : Wunderlich
Die Reformen des Freiherrn vom Stein. 13 selbst, und so versteht man es, daß er an dem, was das Edikt zugunsten des Grundadels enthielt, ebensowenig prinzipiellen Anstoß fand wie an dem, was er ihm nahm. Der Adel verlor dadurch zunächst fast mit einem Schlage die Rechte, die ihm aus der Erbuntertänigkeit der Bauern zustanden. „Mit dem Martinitag 1810 hört alle Gutsuntertänigkeit in Unseren fürstlichen Staaten auf. Nach dem Martinitage 1810 gibt es nur freie Leute." Was unter Erbuntertänigkeit alles zu verstehen sei, sagte das Edikt nicht, — etwas vage und salopp darin, wie manche der Reformgesetze. Aber jeden- falls war der Bauer fortan nicht mehr verpflichtet, die Erlaubnis seines Gutsherrn einzuholen, wenn er seinen Hof verlassen, wenn er heiraten, wenn er seine Kinder ein Gewerbe lernen oder sie studieren lassen wollte; er war nicht mehr gezwungen, seine Kinder dem Gutsherrn zum Gesinde- dienst zu überlassen. Er schuldete ihm sortan nur diejenigen Verbindlich- keiten, die ihm als freiem Manne „vermöge eines Grundstücks oder vermöge eines besonderen Vertrages obliegen". Dem Adel und dem Bauern gemeinsam zugute kommen sollte die Freiheit des Güterverkehrs, die das Edikt gewährte. Die ständische Gliederung hatte sich, wie wir uns erinnern, dermaßen in den Grund und Boden eingegraben, daß es adlige Güter gab, die kein Bauer und Bürger, und bäuerliche Güter, die kein Edelmann ohne weiteres er- werben durfte. Diese Schranken fielen. Jeder Edelmann durfte fortan bäuerliche und bürgerliche, jeder Bürger und Bauer adlige Grundstücke ohne besondere Erlaubnis erwerben. Durch diese Vergrößerung des Käuferkreises und Erleichterung des Besitzwechsels sollte und mußte auch der Wert der Grundstücke erhöht werden. Das Edikt ging aber über das agrarische Gebiet noch hinaus und löste auch diejenigen Fesseln, die bisher den Gewerbebetrieb an bestimmte Stände gebunden hatten. „Jeder Edelmann", bestimmte es, „ist ohne allen Nachteil seines Standes befugt, bürgerliche Gewerbe zu betreiben, und jeder Bauer ist berechtigt, aus dem Bauer- in den Bürger- und aus dem Bürger- in den Bauern- stand zu treten." Damit wurde wenigstens in den Augen der Gesetz- geber und des Gesetzes das Wesen des „Standes" überhaupt verändert, die Bindung des einzelnen Individuums an ihn hörte auf. Aus den Ständen der Gesellschaft wurden Klassen, in die der einzelne nach freier Entscheidung und nach dem Maße seiner wirtschaftlichen Kräfte ein- treten konnte. Der Bürger und Bauer konnte zwar nicht gerade Edel- mann werden, aber er konnte edelmännischen Beruf und edelmännische Lebensweise ergreifen. Es konnten und sollten soziale Zustände er- wachsen, wie sie in England bestanden, wo eine gentry aus adligen und unadligen Grundbesitzern erwachsen war und der unbegüterte Sohn des Edelmanns in das bürgerliche Leben übergehen und durch Industrie und Handel sich wieder emporarbeiten konnte. Freilich mußten zu dem Gesetze auch noch die Sitte und das Her-
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