1910 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Schmieder, Isidor
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Geschlecht (WdK): Jungen
Stellung d. deutschen Kolonialpolitik innerhalb d. kolonialen Bestrebungen usw. 191
Eine weitere Gefahr für die englischen Absichten ergab sich dann aus
der Kollision, in die sie mit den Plänen Frankreichs auf ein großes
Reich des nördlichen Afrikas geraten mußten, sobald dessen Grenzen
im Osten bis zum Nil hin vorgeschoben wurden. Das geschah 1898;
in diesem Jahre drangen die Franzosen vom Kongo her bis nach Fafchoda
vor. Aber sofort erhob sich England drohend und^rücksichtslos; es kam
zu englischen Flottendemonstrationen in den Frankreich'benachbarten
Gewässern, und Frankreich, zu einem Seekrieg gegen England nicht
gerüstet, ließ sich einschüchtern und gab nach.
Aus diesen Vorgängen, die hier nur in den größten und einfachsten
Linien geschildert werden konnten, ergibt sich, wie ernst es England mit
einem künftigen britischen Afrika ist; fast scheint es, daß hier schon der
Ersatz gesucht wird für ein künftig etwa nicht mehr zu haltendes Indien;
nur so große Zusammenhänge und so wichtige Zukunftsideale erklären
auch einigermaßen den düsteren Ernst und die Unmenschlichkeiten des
späteren Krieges gegen Transvaal und den vranischen Freistaat.
Übersieht man aber das Verfahren der europäischen Großmächte in
Afrika im ganzen, so ergibt sich, daß es in den Zeiten jüngster Vergangen-
heit und in der Gegenwart auf afrikanischem Boden eigentlich nur noch
drei große Rivalen gab und gibt: England, Frankreich und das Deutsche
Reich. Denn der Kongostaat hat sich wiederholt nachgiebig gezeigt und
neutral erklärt; die anderen Mächte kommen wenig in Betracht. Wie
stellt sich da nun bisher die geschichtliche Bilanz der drei Mächte?
Sofort fällt in die Augen, daß Frankreich wie England nach ganz
bestimmten Zielen ringen: sie treiben eine wirklich große Kolonial-
Politik — vielleicht eine, die sich in späteren Zeiten, denkt man die gegen-
seitigen Ziele logisch durch, gründlich ausschließen mag —, vorläufig
eine solche, in der Kollisionen nur bei gegenseitiger Machtüberschreitung
zu gewärtigen sind. Kann man für das Deutsche Reich von gleich klaren
und klar auch schon zutage tretenden Zielen reden? Keineswegs! Die
deutschen Erwerbungen sind da gemacht worden, wohin gerade der einzelne
deutsche Kaufmann und Unternehmer durch die, vom politischen Stand-
punkte aus gesehen, zumeist rein zufällig^Neigung seines Erwerbsinnes
verschlagen worden war; höchstens bei der Gründung von Deutsch-
Ostafrika haben von vornherein bestimmtere Ziele vorgeschwebt. So hat
denn der deutsche Besitz, ins'ganze^betrachtet, zunächst den Charakter des
Zufälligen; er klebt ihm an sich aus der Art der Erwerbung her noch uu-
weigerlich an. Verwischt werden könnte'er nur durch eine große, geschlos-
sene Gesamtpolitik: und schon allein die Tatsache,^daß dies so ist, macht
eine solche unbedingt/notwendig. Ob sie nun wenigstens dem Keime
nach bereits besteht? Allein das Abkommen zwischen England und dem
Deutschen Reiche vom Jahres 1898, das allgemeiner Annahme nach
über die Zukunft der portugiesischen Besitzungen in West- und Ost-
asrika gewisse Bestimmungen trifft, könnte hierüber Aufschluß geben: