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1. Deutsche Fürsten- und Ländergeschichte, deutsche Reformationsgeschichte - S. 238

1895 - Gera : Hofmann
238 Viertes Buch. I. Abschnitt: Bilder aus der deutschen Reformation. kam von Tod oder Sünde, so fiel ich dahin und fand weder Taufe noch Müncherei, die mir helfen möchte; so hatte ich nun Christum und seine Taufe längst auch verloren. Da war ich der elendste Mensch auf Erden; Tag und Nacht war eitel Heulen und Verzweifeln, daß mir niemand fteuren konnte." So setzte sich das ihm gleichwohl unmittelbar gewisse Gefühl seiner Abhängigkeit von Gott je länger je mehr in Furcht und Entsetzen um: er bildete sich Christum vor, wie er auf dem Regenbogen sitzt als rächender Richter; er kannte ihn nur noch als „Stockmeister und Henker" des Gerichts. In dieser Not, da er Gott suchte als eine ihm persönlich nahe, ihn persönlich erfüllende und beherrschende liebevolle Macht, und ihm kein Mittel der alten Kirche helfen konnte, ihn zu finden, da ward ihm die Bibel zum Führer. Die mittelalterlichen Studien hatten die Bibel als erste Grundlage aller Theologie längst aus den Augen verloren; Luther hatte lange ge- glaubt, ihr Text bestehe nur aus den Perikopen: da „fand ich in der Liberei zu Erfurt eine Bibel; die las ich oftmals. Da ward ich darin also bekannt, daß ich wußte, wo ein jeglicher Spruch stünde und zu finden war, wenn davon geredet ward; also ward ich ein guter Textualis. Darnach las ich die Kommentare der Väter und Lehrer. Aber ich mußte sie zuletzt alle aus den Augen stellen und wegthun, dieweil ich in meinem Gewissen damit nicht konnte zufrieden fein, und mußte mich also wieder mit der Bibel würgen: denn es ist viel besser, mit eigenen Augen sehen, denn mit fremden." Es war eine anscheinend so einfache Errungenschaft — freilich einfach, wie alles Große. Und wie schlug sie der wissenschaftlichen Methode der Zeit ins Gesicht. Der gefeierte Erfurter Scholastiker Bartholomäus Arnoldi von Usingen trat Luthers Bestrebungen mit den Worten entgegen: „Ei, Bruder Martine, was ist die Bibel? Man soll die alten Lehrer lesen, die haben den Saft der Wahrheit aus der Bibel gezogen; die Bibel richtet allen Aufruhr an." Luthern brachte die Bibel tiefste Ruhe der Seele. Freilich anfangs las er sie mit Furcht und Zittern, mit krampfhaftem Forschen nach der Möglichkeit eigenen Heils; und wie mißverstand er sie zuerst, da er mit den Begriffen der hergebrachten Schultheologie an sie herantrat! Doch endlich sprach sie klar zu ihm. Und sie kündete ihm, was sein heißes Herz suchte: dauernde Gottesgewißheit, persönliche Gotteskindschaft im Glauben an die in ihr geoffenbarte Wahrheit. Damit trat sie vor Luther hin als die einzige Autorität über alle Autoritäten, auch über den Ordensheiligen Augustinus: „In der Erste las ich Augustinus. Da mir aber die Thür in Paulo auf-gethan ward, daß ich wußte, was die Gerechtigkeit des Glaubens war, da war es aus mit ihm." Freilich, nicht in wohldefinierter Klarheit, als ein niemals bezweifeltes Gesetz errang sich Luther alsbald mit Hilfe der biblischen Offenbarung die dauernden Ideale feines Lebens. Als Mittelpunkt einer neuen, dem mittelalterlich gebundenen Denken völlig entgegengesetzten Weltanschauung ward die neue Lebenskraft überhaupt nicht von ihm erschlossen, sondern er-
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