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1. Das Mittelalter - S. 22

1891 - Münster i. W. : Schöningh
22 Mittelalter. wurden. Die Sittenstrenge, welche die Deutschen selbst in diesen wilden Zeiten nicht eingebüßt hatten, die Treue und Redlichkeit, welche von jeher als Grundzüge ihres Charakters galten, wirkten vorteilhaft auf alle öffentlichen Verhältnisse zurück. Bald wurde man inne, daß diese Eroberer nicht, wie einst die Römer, vernichtend für die selbständige Entwickelung der Völker waren, daß sie sremdes Recht schonten, andere Sitte und Sprache ehrten und ihr Freiheitssinn einen erdrückenden Zwang selbst gegen Überwundene nicht aufkommen ließ. So führte das Eindringen der Fremdlinge in das römische Reich des Abendlandes nicht zu einer völligen Auflösung und Zerstörung aller gesellschaftlichen Ordnung, sondern bahnte vielmehr eine Umgestaltung derselben an, aus welcher dereinst, so tiefgreifend und stark sie war, doch noch eine Erneuerung des römischen Reiches hervorgehen konnte. Ein neues Reis wurde aus den alten Baum gepfropft. Vieles ging freilich unwiederbringlich verloren; Länder, die seit Jahrhunderten zusammengehört und in allen Interessen verwachsen waren, wurden auseinander gerissen, dem Handel und Wandel die alten Bahnen und Richtungen genommen, Kunst und Wissenschaft verloren ihre Geltung und gingen mit reißenden Schritten dem Verfall entgegen, nützliche Staatseinrichtungen gerieten in unaufhaltsamen Ruin, das ganze Leben gestaltete sich rauher und kriegerischer. Und doch sahen viele Römer damals die Germanen nicht so sehr als Unterdrücker, wie als Befreier von dem unerträglichen Druck der Kaiferherrschast an; sie fanden, diese rauhen Sieger seien ihnen eher Bundesgenossen als Herren, und besser sei es, mit ihnen frei und arm zu leben, als äußerlich glänzend unter dem Joch der Kaiser des Ostens und ihrer Beamten. Die Führer der Germanen haben geglaubt, daß sich auf ruhigem Wege die weitere Entwickelung der Dinge gestalten, daß das römische Reichsgebiet, nachdem sie es mit ihren Heeren besetzt hatten, friedlich fortan Germanen und Römer zugleich umfangen würde, ja sie hofften wohl gar, durch weise Sorgfalt sich dauernd den Dank der Römer zu gewinnen. „Mögen andere Könige", schreibt der Ostgote Theoderich (493—526), „ihren Ruhm in dem Untergang eroberter Städte suchen; unser Vorsatz ist es, unsern Sieg so zu benutzen, daß die Unterthanen nur beklagen sollen, zu spät unsere Herrschaft erlangt zu haben." Die Könige der Germanen ließen sich, um den römischen Stolz nicht zu verletzen, so weit herab, daß sie sich selbst und ihre Völker nur als Fremdlinge bezeichneten, die gastliche Aufnahme im Reiche gesucht und gefunden hätten; sie erkannten zum Teil ausdrücklich ihre Länder nur als untergeordnete Teile des römischen Staates an, den sie nicht als einen neben anderen, fonbent als den Staat schlechthin zu betrachten gewohnt waren. Manche von ihnen sahen in dem Kaiser zu Konstantinopel, so wenig sie sich auch von ihm Eingriffe
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