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1. Bd. 1 - S. 876

1883 - Leipzig : Engelmann
876 Das Mittelalter. §. 486. Wucher lerne. Er preist die Armuth als die Mutter der Tugend, stellt das Glück der Zufrieden-heil und Bedürfnißlosigkeit dein weltlichen Jagen und Treiben und der trostlosen Vielgeschäftigkeit der Eriverbsucht gegenüber und weist aus die Vergänglichkeit alles Irdischen und die Gleichheit aller Menschen im Grabe hin. Wie mächtig der Eindruck dieses Buches auf die Zeitgenossen war, geht schon daraus hervor, daß einer der stärksten Geister seiner Zeit, Geiler von Kaisersberg, in Schaffhausen geboren, tut Elsaß erzogen und in Straßburg, dem Hauptsitz dieser ironischen Lebensauffassung als vielgefeierter Prediger wirkend, den Inhalt der einzelnen Capitel des Narrenschiffes zu Predigttexten benutzte. Geiler von Kaisersberg war in Glauben und Lehre konservativ, aber der entarteten Geistlichkeit abhold, ein Sittenverbefserer mit einer Neigung zur Satire und zum volksthümlichen Humor, geehrt und einflußreich bei Hoch und Nieder, aber auch angefeindet von Allen, die seine freimüthige Kritik empfindlich traf. Der Franziscanertnönch Th. Murner war ein Landsmann und Nachahmer von Seb. Brandt, stand aber an Charakter und sittlicher Würde demselben weit nach. Murner war eben so unbeständig, unruhig und leidenschaftlich, wie Brandt ruhig und besonnen, und während dieser die Ausbrüche einer ungebändigten Natur in Literatur und Leben zu hemmen suchte, gefiel sich Murner in der Gemeinheit und bereicherte die „grobianische" Literatur mit rohen, plebejischen Ausdrücken, mit Flüchen und Schimpfwörtern. Wie er sich im Leben unstet bald im Elsaß, bald in der Schweiz, bald in England, bald in Deutschland «Heidelberg) umhertrieb, nirgends geliebt und vielfach verfolgt, eitel, zanksüchtig, „ein Thersites in der Kutte", so war er auch in seinen Ansichten eine unstete Wetterfahne. Anfangs galt er, wie Renchlin, Hutten u. A., für einen Anhänger der neuen Richtung und in diesem Geiste sind auch seine ersten Werke, die Narrenbeschwörung und die Schelmenzunft(l512), gedichtet, worin die Geistlichen und Mönche nicht geschont werden. Später änderte er seine Gesinnung und ward ein Feind Luthers und der Reformatoren, die er nun mit Schmähungen überschüttete und in Spottgedichten angriff („von dem großen lutherischen Narren, wie ihn Dr. Murner beschworen hat"), wofür er aber von seinen ehemaligen Meinungsgenoffen mit gleicher Münze bezahlt wurde. In feinem Gauchmat wiederholen sich die frühern derben Witze mit wenig Abwechselung. In der Narrenbeschwörung verhöhnt er aufs Derbste die unpraktische Gelehrsamkeit, die Habsucht, Unwissenheit und Entartung des Klerus, die Verkehrtheit der Regenten und Fürsten, die Rabulisterei der Advocaten; in der Schelmenzunft (worin Sprichwörter das Thema zu den Satiren abgeben) züchtigt er die Laster und Gebrechen des geselligen Verkehrs, die Unsitte der Schelmerei, die Thorheit der politischen Kannegießerei. §. 486. Mysterien und Drama. Mit Thomas Murner sind wir schon in den Zeitraum eingerückt, der den Inhalt des nächsten Buches bilden wird. Ehe wir jedoch von dem deutsch'er Mittelalter scheiden, müssen wir noch einen Blick aus die Entstehung und den Entwickelungsgang der dramatischen Poesie werfen, die im folgenden Jahrhundert durch die Einwirkung der alten Literatur und die Beispiele des Auslandes einen bedeutenden Schritt vorwärts geführt ward. Die Anfänge unseres Schauspiels sind in der kirchlichen Liturgie zu suchen. Die um Ostern von verschiedenen Personen mit Gesang vorgetragene Leidensgeschichte Jesu führte leicht auf den Gedanken, Action und Dialog damit zu verbinden. Bald wurden solche Darstellungen (Mysterien» auch an den übrigen Festtagen aufgeführt und sowohl durch Einschaltungen anderer biblischen Geschichten, als durch Beifügung redender und erzählender Personen und Lustigmacher (Joculatoren) erweitert und belebt. Die letztem führten in der heitern Fastnachtzeit komische Zwischenscenen auf und bildeten so einen Gegensatz gegen den Ernst der Osterfeier. Mit der Zeit wurden diese Mysterien aus der Kirche, wo gewöhnlich auch die Spiele und Aufzüge der Gaukler, Seiltänzer und Mmftrels stattfanden, auf den Markt und ins öffentliche Leben eingeführt und zum Ergötzen des schaulustigen Volks allerlei Possen und Mummereien hinzugefügt. Trotz des wiederholten Verbotes von Rom aus betheiligten sich an solchen Spielen und Lustaufzügen die Geistlichen. Im Mittelalter stand das ganze Volksleben mit der Religion und Kirche in vielfacher Wechselbeziehung und erlitt durch die Kirchengesetze mancherlei
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