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1. Bd. 2 - S. 803

1883 - Leipzig : Engelmann
H. 1087. Zug der Revolution durch Europa. 803 allen Denen, die wegen politischer oder durch die Presse verübter Vergehen und Verbrechen angeklagt oder verurteilt worden". Diese Amnestie, die auch in den übrigen deutschen Staaten gewährt wurde, gestattete den flüchtigen Liberalen die Rückkehr ins Vaterland, an dessen Umgestaltung sie thätig mitwirkten; sie öffnete auch die Kerker der vor Kurzem vertheilten polnischen Verschworenen (§. 1008), die nunmehr nach Posen eilten und ihre Stammesgenossen zum blutigen Kampf wider ihre deutschen Landsleute aufriefen. — Aber der König erkannte nicht, welche Kluft der 18. März zwischen ihm und dem deutschen Volke geschaffen. Seine am 21. März erlassene Proclamation: „An die deutsche Nation!" worin er verkündete, daß er sich „zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Ge-sammtvaterlands gestellt", daß er als neuer, constitntioneller König „Führer der freien, wiedergeborenen deutschen Nation" fein wolle, wurde in ganz Deutschland mit dem größten Mißfallen ausgenommen, und als er bald nachher, mit den deutschen Farben geschmückt, in Begleitung der Prinzen und Minister einen festlichen Umzug durch die Stadt hielt und feierlich versicherte, daß er „Deutschlands Freiheit, Deutschlands Einheit" wolle, da ging ein Schrei der Entrüstung durch die südlichen Gaue des Vaterlandes, und selbst in Preußen erblickte das Volk in dem theatralischen Aufzuge nicht sowohl einen wirklichen, Dauer verheißenden Gesinnungswechsel, als vielmehr eine jener phantastischen Überstürzungen und Sprünge, an denen Friedrich Wilhelm Iv. so reich war. Die Idee einer preußischen Vorherrschaft, mochte damit auch ein Aufgehen Preußens in Deutschland verbunden sein, war höchst unvolksthümlich, und der Augenblick, wo sie verkündigt ward, unglücklich gewählt. Die Entfernung des Prinzen von Preußen, dem man die Hauptschuld zuschrieb und dessen Palast nur mit Mühe vor Zerstörung gerettet worden war, nach England, und die feierliche Beisetzung der gefallenen Volkskämpfer in ein gemeinsames, von den Barrikadenstreitern eigenhändig gegrabenes Riesengrab aus der höchsten Stelle des Friedrich-Haines am 22. März bildeten den Schluß dieser ereignißvollen Märztage, in denen das unumschränkte Militärkönigthum, die Schöpfung ruhmgekrönter Fürsten, einen harten Stoß erlitt. Im folgenden Monat traten die „vereinigten Stände" auf kurze Zeit zum letztenmal zusammen, um ein Wahlgesetz zu genehmigen, aus welchem dann die neue constituirende Nationalverfammlung für Preußen hervorging. Aber Berlin hatte seitdem fein Ansehen verändert. Hunderte von wohlhabenden Familien wanderten aus; die Unterbrechung von Handel und Wandel und das Stocken der Gewerbthätigkeit mehrte die Zahl der Brodlofen und Armen und bot der wühlerischen Thätigkeit aufregender Demagogen einen fruchtbaren Boden; Volksversammlungen, Clubs und Arbeitervereine entschieden über die großen Fragen des Tages. Die Minister wechselten in rascher Folge, und waren sie auch durchgängig wohlgesinnte, ehren-werthe Männer, so fehlte ihnen doch Entschlossenheit und Thatkraft. Der König ging nur mit Widerwillen aus ihre Bestrebungen und Ansichten ein; so hatten sie keinen Halt nach Oben wie nach Unten. §. 1087. Vorparlament und Nationalversammlung. Mittlerweile war in allen deutschen Staaten eine mächtige Umwälzung vor sich gegangen. Der Bundestag erhielt neue Lebenskraft, seitdem Welcker, „der alte Soldat der Freiheit", Jordan, das schwergekränkte Opfer des Polizeistaats und der Iustiztyrannei, und andere Männer von liberalen Ansichten in denselben getreten, und siebenzehn Vertrauensmänner, darunter die Zierden Deutschlands, ihm zur Seite gestellt und mit Entwerfung einer neuen Bundesverfassung betraut worden. In Bayern wich König Ludwig der öffentlichen Meinung und legte das Scepter in die Hand des Kronprinzen; in Hessen-Darmstadt gab der alte Großherzog einige Monate vor seinem Tode die Regierung seinem Sohne ab; in Kurhessen trat Wippermann aus einem Preß-prozeß in das Ministerium, das der liberale Oberbürgermeister Eberhard von Hanau bildete; in Hannover wurde der hart verfolgte Stüve von Osnabrück in den Rath des Königs gerufen; in Nassau wurden die Domänen für Staatsgut erklärt und alle Forderungen des Volks gewährt. Die Liberalen hatten den vollständigsten Sieg errungen; Preßfreiheit, Beeidigung des Militärs auf die Verfassung, Abänderung der ständischen Wahlgesetze im demokratischen Sinn, Volksbewaffnung und das theils gewährte, theils 51*
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