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1. Bd. 2 - S. 1217

1883 - Leipzig : Engelmann
§. 1293. Geschichte Europa's in den Jahren 1875—1883. 1217 hatte. Der Urheber dieses zweiten Attentats, ein Dr. Nobiling, gehörte den gebildeten Ständen an und da er in Folge eines Selbstmordversuches in geistige Schwäche und Unzurechnungsfähigkeit verfiel und in dieser einige Zeit nachher starb, so ist nie klar zu Tage getreten, in wie weit die Frevelthat mit den socialdemokratischen Grundsätzen oder ihren Bekennern in Zusammenhang stand. Nur so viel ging aus den Verhören hervor, daß auch er sich in nihilistischen und socialdemokratischen Vorstellungs-kreisen bewegt hatte, wenn schon persönliche Eitelkeit und die Sucht, von sich sprechen zu machen, den Hauptantrieb zu der verbrecherischen That gegeben haben mögen. Da die Verwundungen, wenn auch zum Glück nicht lebensgefährlich, den Kaiser auf längere Zeit an das Krankenlager fesselten und ihn an der Vollziehung der nöthigen Unterschriften hinderten, so übertrug er dem Kronprinzen die volle „Stellvertretung in der obern Leitung der Regierungsgeschäfte".- Obwohl nach der furchtbaren Erschütterung 4i§8ni Deutschlands durch den zweiten Mordversuch auch von der damaligen Volksvertretung die Zustimmung zu Ausnahmsmaßregeln gegen die revolutionäre Agitation der Socialdemokraten zu erlangen gewesen wäre, so beschloß dennoch der Reichskanzler, bei dem Bundesrathe den Antrag auf Auflösung-des Reichstags und Anordnung neuer Wahlen zu stellen. Er hoffte, daß bei der allgemeinen Entrüstung der Nation über die hochverrätherischen Verbrechen und über viele von tiefer Entsittlichung und Verwilderung der Gesinnungen zeugende Fälle roher Majestätsbeleidigung die aus den 30. Juli festgesetzten Neuwahlen die conservative Partei im Reichstage verstärken würden. Hatte es auch bisher die socialdemokratische Partei in der Reichsversammlung selbst nicht über zehn Mitglieder gebracht, so war doch bei allen Wahlen eine so große Stimmenzahl von Gesinnungsgenossen hervorgetreten, daß zu befürchten stand, bei dem allgemeinen Stimmrecht, bei der despotischen Parteidisciplin der Socialisten und bei der bewußten ober unbewußten Unterstützung von Seiten der particularistischen, klerikalen und reichsfeinblichen Elemente möchten immer mehr Leute von der Farbe der Bebel, Liebknecht, Hasselmann, Most u. A. zu Reichsboten gewählt werben. Die immer zügelloser auftretende Agitation gegen die Grundlagen unseres Cultur-, Wirthschafts- und Gesellschaftslebens sortierte die Staatsgewalt dringend zu energischer Abwehr heraus. Die Auflösung wurde denn auch wirklich von dem Kronprinzen in Stell- n. Jum. Vertretung des Kaisers vollzogen. Um dieselbe Zeit als der europäische Friedenskongreß in den Prachträumen des neuen, ehemals Radziwill'schen Reichskanzlerpalais 13. Juni. in der Hauptstadt eröffnet ward, rüsteten sich in allen Reichslanden die verschiedenen Parteien zu den Wahlkämpfen. Die Zurückweisung der früheren Gesetzesvorlage gegen die Socialdemokratie durch die Parlamentsmehrheit diente der conservativen Presse aller Parteischattirungen zu Angriffen gegen die Nationalliberalen, deren Reihen denn auch bei den Neuwahlen nicht unerheblich gelichtet wurden. Doch waren die gegnerischen Agitationen, unterstützt von Flugschriften, Zeitungen, Versammlungen, Wahlbeeinflussungen und andern Mitteln, nicht vermögend, dem neuen Reichstag in der Grundstellung der Fractionen einen wesentlich und entscheidend veränderten Charakter zu verleihen, wenn auch die conservativen, klerikalen und particularistischen Gruppen um einige Mitglieder verstärkt wurden. Als der Reichstag seine Sitzungen wieder eröffnete, war die Genesung des Kaisers, Dank der sorgfältigen Pflege durch Gemahlin und Tochter und der eigenen kräftigen Natur, so weit fortgeschritten, daß er zur Kur nach Teplitz und Gastein reisen und den Nachsommer in Wilhelmshöhe, in Baden und am Rhein in seiner gewohnten Weise verbringen konnte. Während seiner Abwesenheit wurde Hödel, der während des ganzen Gerichtsverfahrens den frechen, leichtfertigen Charakter eines sittlich entarteten und verkommenen Menschen kund gegeben hatte, durch Richterspruch zum Tode verurtheilt und im Hofe des Zellengefängnisses zu Moabit enthauptet. Einige Wochen nachher starb Nobiling an Hirnvereiterung und Lungenlähmung. Mittlerweile ,7f878 j-ivar der Reichstag zu einer außerorbentlichen Session einberufen, um über den von 11. Sept. dem Bundesrathe mit mehr Reife und Ueberlegung ausgearbeiteten Gesetzentwurf gegen 9. Sept. die „Ausschreitungen der Socialdemokratie" Beschluß zu fassen. Es waren erregte Sitzungen, in welchen sowohl die aus 21 Mitgliedern zusammengesetzte Commission als ^die Plenarversammlung über die einzelnen Bestimmungen des Socialistengesetzes zu Weber, Geschichte Ii. 77
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