1909 -
Paderborn
: Schöningh
- Autor: Nieberding, Karl, Richter, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 25
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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§ 110. Pie Gletscher.
Schneegrenze oder Schneelinie ist die in den verschiedenen Hoch-
gebirgen verschieden hoch liegende Linie, bei der der ewige Schnee
beginnt.
Oberhalb der Schneegrenze fällt der Niederschlag das ganze
Jahr hindurch als ein nadelartig feiner, blendendweißer, trockner und
deshalb sehr beweglicher Staub: Hochschnee. Dieser Hochschnee
gleitet bergab und ballt sich infolge des Druckes der oberen Schichten
und des teilweisen Schmelzens in den Sonnenstrahlen zu festen, fand-
artigen Körnern zusammen: Firn^. Der Firnschnee drängt, ebenso
wie der Hochschnee, nach der Tiefe, und zwar an sehr abschüssigen
Stellen oft mit furchtbarer Gewalt: Lawinen^. Sind jedoch die
Abhänge nicht sehr steil, so sammelt sich der Schnee in den Furchen
der Gebirge und drängt langsam abwärts. Je tiefer er kommt, desto
mehr schmilzt er, und es bildet sich infolge des abwechselnden Schmelzens
und Gefrierens allmählich eine bald mehr, bald weniger feste Eismasse:
Gletscher'. Auch die Gletscher ruhen nicht, sondern bewegen sich,
die von den Firnfeldern abwärts ziehenden Täler tri ihrer ganzen
Breite und bis zu ziemlicher Höhe ausfüllend, langsam (jährlich zu-
weilen 60 in) vorwärts, sind also gewaltige Eisströme. Die von den
benachbarten Felsenwänden abbröckelnden Steinbocke bilden an den
Seiten der Gletscher oft stundenlange Steinwälle: Moränen^. In
den Polargegenden sind die Gletscher am größten und erreichen das
Meer; ihre Trümmer bilden schwimmende Eisberge. Ist jedoch die
Temperatur derartig, daß das untere Ende des Gletschers schmilzt,
dann bildet sich ein Abfluß, Gletscherbach, der in der Regel durch
ein hohes, gewölbtes Eistor, das Gletschertor, hervorbricht. So
werden viele Flüsse von den Gletschern gespeist, z. B. der Rhein.
Auf Spitzbergen liegt die Schneegrenze in einer Höhe von 460 m,
in den Alpen in einer durchschnittlichen Höhe von 2866 in, in Tibet
werden sogar Höhen von 6666 in schneefrei. Die Schneegrenze steigt
also von den Polen zum Äquator hin an, erreicht aber aus beiden
Erdhülften (nördl. und sndl.) ihre größte Höhe nicht uuter dem Äquator
selbst, sondern, ebenso wie die Berggipfel, etwa unter den Wendekreisen.
— Die Ausdehnung der Gletscher war einst (in der sog. Eiszeit) eine
viel weitere als heute; Großbritannien und Skandinavien waren in
ähnlicher Weise von ihnen bedeckt wie jetzt z. B. Grönland. — In den
Alpen beträgt die Zahl der Gletscher noch über 1066; der Aletsch-
Gletscher im Berner Oberland ist 26 km lang, 800—2060 m breit; seit
dem Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist auch hier eiu
starker Rückgang der Gletscher beobachtet worden.
1 Firn — alt, hauptsächlich vorjährig, jetzt fast nur noch vom Wein sfirne-
wein — abgelagerter Wein), Getreide (Firnekorn — Korn vom vorigen Jahre)
und besonders von dem im Hochgebirge seit Jahren aufgehäuften Schnee gebraucht.
2 Fraglich, ob vom lat. labi — herabgleiten oder von „lauen" (== auf-
tauen) ; übrigens spricht man im Gebirge „Lauiue". „Lauivine", in Tirol „Lahne".
3 V. franz. glacier (v. lat. glacies — Eis).
4 B. franz. moraine = Geröll in und an Gewässern, Gletschergeröll.