1874 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor, Rohmeder, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Gebiet der Weichsel. 135
hält der Reisende einen weißen Linnenmantel statt der anderwärts bräuchlichen
schwarzen Grubenkittel, und wird beim Schein des Grubenlichtes 65 in. hinabgelassen.
Hier ist ein Gaug (Strecke) durch braungrauen Salzstein gehauen und führt zur söge-
nannten Kapelle. Dies ist ein großes Gewölbe mit spitzbogigem Eingang, Kanzel und
Altar, an dessen Stufen zwei Mönche knien und die oberhalb stehenden Gestalten
Christus und Marie anbeten; alles ist nach Angabe eines geschickten Bergmannes ans
dem Salzstein gehauen. Setzte sich über die Oberfläche des abgebrochenen und abge-
meißelten Gesteins nicht ein düstrer Salzschleim, so müßten die Wände und Gestalten
bei gehörigem Fackellicht flimmern und glitzern; so aber sieht es düster ans. Gänge
streifen von der Kapelle weiter und durchschneiden sich Manchsach, so daß man in
einem Labyrinthe zu sein glanbt. Oft gehts viele Sinsen hinunter und hinauf, wie
in verschiedenen Stockwerken, denn die größte Tiefe beträgt 396 vi. Hier kommt man
in ungeheure Gewölbe (Verhaue), deren ausgeleerte Räume nicht geringe Massen Salz
geliefert haben; bort wird mit Pulver gesprengt, mit Meißel und Hammer, mit Keil
und Brechstange stückweis oder bänderweis das Gestein abgelöst, und damit die Decken
nicht einstürzen, hat man Felsstützen wie Pfeiler stehen lassen. Besonders merkwürdig
ist der große Saal, ein Verhau, worin eine Dorfkirche bequem stehen könnte. Er dient
zur Aufbewahrung solcher Dinge, die in deu mancherlei Abtheilnngen des weitschichtigen
Bergwerkes sehenswerth sind und hier auf einmal betrachtet werden können, z. B.
Stufen in den Wänden, getrennte Salzbänder, erste Anfänge dazu, Anlagen von
Strecken, Fossilien, Versteinerungen und Kristallisationen , die im Salzstein gefunden
werden. Pyramiden aus geöltem Papier und andere Vorkehrungen zum Jlluminiren
stehen umher, Kronleuchter (aus Salz) hängen von der Decke, und in gewisser Höhe ist
eine ringsum laufende Galerie ausgehauen. — Der unerschöpfliche Reichthum des
Minerals wird für die Zukunft noch eine Menge Verhaue und Strecken im Innern des
Gebirgs, eine unterirdische Salzwelt, veranlassen. Zwar wohnen noch keine Nienschen
unten, obschon 1500 Arbeiter in den Werken beschäftigt werden, aber Ställe für Pferde
finden sich schon, und weiten sich die Werke noch mehr aus, so möchte die Anlage von
Häusern nöthig werden. Die Pferde werden gebraucht, um die Maschinen in Bewegung
zu setzen, womit aus untern Stockwerke» die Salzlasten hinauf gefördert werden. —
Nicht weit von diesen Salzorten, an der Weichsel, die hier bereits Schiffe trägt,
liegt Krakau, vor Zeiten Hauptstadt Polens, nun zu Oestereich gehörig, mit 41000 E.
Die Lage ist schön; der Fremde pflegt deshalb ungesäumt zur alten Burg hinauf zu
geheu, wo die au Kirchen und Klöstern reiche Stadt und die Umgegeud bis zu den
Karpatheu hin den herrlichsten Anblick gewähren. Die Burg selbst, früher in könig-
lichem Glänze, hentzutag eine Kaserne und verunstaltet, ist ein Bild vom Schicksale
Polens. Wer die öffentlichen Plätze und sehenswerthen Bauwerke durchwandert, trifft
überall auf denselben Gegensatz der Gegenwart und Vergangenheit, aber auch auf
Zeugnisse von der Unverwüstlichkeit des polnischen Nationalcharakters. Am meisten
fühlt man sich angezogen von der ehrwürdigen Kathedrale oder Schloßkirche und von
dem Koseziuskoberg. Ju der Kathedrale erinnert eine Reihe von Grabmälern und
Bildnissen an die Geschichte der Könige und Helden, besonders an Johann Sobiesky,
Thaddäus Koscziusko und Jos. Poniatowsky, während inmitten des Di5ms der silberne
Sarg des Märtyrers Stanislaus, als Schutzheiligen des Reichs, von silbernen Engeln