1874 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor, Rohmeder, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Europa —
Italien.
Palestrina, doch später traten ihre Meister weit hinter die Deutschen Händel, Bach,
Gluck, Mozart, Haydn und Beethoven zurück. Daß auch die dramatische, besonders
tragische Poesie in jener freiheits- und vaterlandslosen Zeit keine Ermunterung finden
konnte, begreift sich — die Nation wandte sich dafür dem sinnlichen Opernpomp zu.
Das letzte halbe Jahrhundert hat indes bewiesen, daß in einem politisch herabge-
konimeuen Volke noch ein Kern vorhanden sein kann, der unter günstigen Umständen
wieder wachsen und einen lebensvollen Schoß aus dem erstorbenen Stamme hervorzu-
treiben vermag. Die Revolutionskriege seit 1792, das Schalten der erobernden Fran-
zosen in Errichtung und wechselnder Umänderung neuer Staaten, Einführung neuer
Einrichtungen und Gesetze, der gezwungene Antheil an Napoleons Heerzügen n. s. w.
hatten die Italiener aus ihrer politischen Apathie aufgerüttelt; ausländische, früher ver-
botene Schriften waren in Umlauf gekommen, kriegerisches Wesen war geweckt, und der
Titel König von Italien, welchen Napoleon sich beigelegt, hatte einen Klang, der
dem Ohre der Italiener wohl that. Wenn man dies alles sich vergegenwärtigt, be-
greift man, wie wenig die Herstellung des Alten durch die im Jahr 1815 wieder auf
den Thron gekommenen Regenten die Nation befriedigen konnte. Sie kamen haßer-
füllt gegen die neuen Ansichten, welche unstreitig Wurzel gefaßt hätten. Ihre Regie-
rungsknnst war also von Argwohn durchdrungen, sie stützte sich auf gesteigerte Polizei-
gewalt, auf die schnell wieder herbeigerufenen Jesuiten, auf Verfolgung alles gefähr-
lich Scheinenden in Schriften und Reden, im Nothsall auf österreichische Hilfe. Diese
war ihnen zugesagt, wogegen sie sich verbindlich gemacht, niemals auf eine Repräfen-
tativ-Verfaffnng einzugehen. Gerade darnach aber, nach politischen Freiheiten,
sowie nach nationaler Vereinigung, strebte der nur einigermaßen denkende Theil
der Italiener und fühlte sich immer mehr in einem Gegensatze zu den Regenten, die
sich um so inniger an Oesterreich lehnten und diesem den gewünschten Vortheil ge-
währten, neben seinem Einflüsse in Deutschland 'ein völliges Protektorat über
Italien zu besitzen. Der Gegensatz zeigte sich bald als politische Gährung, als Kund-
werden geheimer Verbindungen, die über das ganze Land sich verzweigten, und in poe-
tischen wie prosaischen Werken, die bei aller Vorsicht im Ansdrnck doch demokratisches
Leben athmeten, und ihres innern Feners wegen zugleich einen neuen Aufschwung der
erschlafften Nationalliteratur andeuteten. Hugo Foscolo, Silvio Pellico (der
seine fromme Vaterlandsliebe auf der mährischen Beste Spielberg abbüßen mußte),
Niccolini, Leoparde; ferner General Coletta, Gioberti, Gnerazzi; Mazzini.
Praktische Männer und Schwärmer, geistig Unzufriedene und materiell Verletzte arbeite-
ten einander in die Hände. Es kam zu Verschwörungen und heftigen Versuchen, ein
konstitutionelles öffentliches Leben, das ans gesetzlichem Wege nicht zu erhalten war, ge-
waltsam zu erzwiugen; doch war der Ansgang mehrerer^ solcher Versuche ein trauriger,
sie wurden mit Hilfe des Auslandes (Oesterreichs u. Frankreichs)niedergeschlagen und dienten
fast nur dazu, manche vorzügliche Köpfe und Charaktere in die Kerker und aufs Schaffst
zu bringen oder zur Flucht ins Auslaud zu nöthigen. Statt aber nun die Ursachen
solcher Erscheinungen zu heben, verstärkte man sie durch verdoppelte Strenge und höchst
unweise Maßregeln, Gab doch der sardinische König Felix im Jahr 1825 ein Edikt,
dem zufolge niemand sollte lesen und schreiben lernen, der nicht 1500 Francs besäße,
und niemand stndiren , der nicht die gleiche Summe als jährliche Reute bezöge — ein