1874 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor, Rohmeder, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Europa
— Italien.
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Edikt, das wenigstens zeigt, wie viel mehr geistiges Bedürfnis man den Piemontesen
zutrauen konnte als den Neapolitanern; denn im Königreich beider Sizilien wäre
solcher Befehl rein überflüssig gewesen! — Das Jahr 1348, reich an politischen Er-
schütterungen vieler Länder, rief auch in Italien neue Aufstände hervor, und diesmal —
merkwürdig genug — suchte einer der Fürsten selbst sie zu leiten und, wenn nicht
die Einheit Italiens, doch die Befreiung desselben von Oesterreich zu erringen und sich
so an die Spitze der natioualen Bewegung Italiens zu stellen. Es war Karl Albert
von Sardinien, der Nachfolger des genannten Felix, ein Mann ohne Treue und
Charakterfestigkeit, aber den Geist der Zeit erfassend; er riß sich vom österreichischen
Systeme los und trat als Hilfe der Lombarden auf, welche die Zeit, wo eben das Reich
durch die Revolution Wiens und den Zwiespalt mit den Ungarn im Innern zerrüttet
war, für günstig hielten, die Fremdherrschaft abzuwerfen. Anfangs machte man
rasche Fortschritte, die Mailänder erhoben sich mit Energie, wie sieben Jahrhunderte
früher gegen Friedrich Barbarossa, die Kaiserlichen mußten zurückweichen, und Karl
Albert drang siegreich bis gegen die Etsch vor. Kaum aber hatte der österreichische
Feldherr, der jugendliche Greis Radetzky, hinreichende Verstärkung erhalten, als sich das
Kriegsglück wandte und der alte Ruf der österreichischen Waffen in Italien sich aufs
neue glänzend bewährte. Der sardinische König wurde bei Eustozza besiegt und über
den Mincio geworfen, mußte Mailand aufgeben, und verlor auf eignem piemontesifchem
Boden die blutigen Gefechte bei Novara und Mortara. Es blieb Sardinien nichts
übrig als Friede zu schließen, wozu auch Oesterreich aus andern Rücksichten bereit war.
Dies aber und die Bezahlung der Kriegskosten überließ Karl Albert seinem Sohne, in-
dem er, mismuthig über das verfehlte Beginnen, die Krone niederlegte. Daß
Lombarden und Venetianer den Aufruhr zu büßen hatten, und daß gegen alle durch
den piemoutesischeu Krieg veraulaßte Bewegungen in den übrigen Ländern eine neue
verstärkte Reaktion eintrat, braucht kaum erwähnt zu werden. Was Reisende und Zeit-
schriften aus Italien, besonders aus dem Neapolitanischen und aus dem Kirchenstaate
berichteten, mußte wohl überall uoch mehr als Bedauern erregen, umsomehr, da es aus
völlig glaubwürdigem Munde bestätigt wurde. England und Frankreich warnten und
riethen dringend in Neapel und im Kirchenstaat ein vernünftiges Verfahren an, ehe es
zu spät sei; Oesterreich selbst mahnte mehrmals, ja ängstlich, zur Mäßiguug. Doch um-
sonst, König Ferdinand vertraute auf seine ausländischen Regimenter und auf die
Polizei; es kümmerte ihn kaum, daß zwischen Oesterreich und Sardinien eine nene
Spannung entstand, die von Louis Napoleon zur gewünschten Schwächung der öster-
reichischen Vorherrschaft in Italien benutzt werden konnte. Karl Alberts Nachfolger,
Viktor Emanuel, hatte den Muth gehabt, seines Vaters Wunsch zu erfüllen, ent-
schieden dem Geiste der Zeit zu folgen und aufrichtig konstitutioneller König zu sein; ein
günstiges Geschick führte ihm in der Person des Grafen Cavour den Staatsmann
zu, wie er und wie ganz Italien ihn bedurfte. Oesterreich sah scheel dazu, es fühlte
sich herausgefordert, seine Vormundschaft über Italien, sein eignes großes Besitzthnm
daselbst war gefährdet; es verstärkte seine Truppenmacht in Lombardei-Venetien immer
mehr, und endlich glaubte es, da eine Verbindung des französischen Kaisers mit Viktor
Emanuel gewiß schien, nicht länger zögern zu dürfen. Es brach, ungeachtet England
und Prenßen und Napoleon selbst einen Congreß bezüglich der Zustände Italiens