1874 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor, Rohmeder, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Europa — Pyrenäische Habinsel.
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ihrer Tochter aus, den schwachen Vetter Franz, und ihre zweite Tochter verlobte sie mit
dem orleauischen Prinzen von Montpensier. 1843 bestieg Jsabella den Thron, den
sie, als Herrscherin bigott, falsch, treulos, grausam und ungerecht, trotz unzähliger Um-
wälzungen und Prouuuciamentos und obgleich der Hof stets ein Tummelplatz des Ehr-
geizes und der Jntrigueu blieb, bis zum September 1868 inne hatte. Mit ihrer Ver-
treibung ist der letzte Thron der Bonrbonen gefallen, jener Herrscherfamilie, die in den
letzten Jahrhunderten leider nur zu oft Gewaltherrschaft, heuchlerische Frömmigkeit,
Sitteulosigkeit und blutige Rachgier als Panier entfaltet hatte. Nach langem Zögern
votirteu die spanischen Cortes im Juni 1869 die monarchische Verfassung; der Umstand,
daß ein deutscher Prinz aus der Familie der Hohenzollern eine Zeit lang Lust zu haben
schien, die spanische Dornenkrone anzunehmen, mußte sogar die absichtlich herbeigezogene
Veraulassunz zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges werden. Im November
1870 ließ sich endlich der italienische Prinz Amadeus bewegen, Spaniens König zu
werden. An demselben Tage, an welchem der jugendliche Amadeo I. den Boden
Spaniens betrat, starb der „Königsmacher" Marschall Prim, der bisher die liberalen
Parteien zusammengehalten hatte, an seinen von Mörderhand empfangenen Wunden,
und alle die redlichen Bemühungen des Königs, dem Lande die Ruhe zu geben, der es
so sehr benöthigt ist, blieben ohne Erfolg; es fehlten ihm in dem fremden Lande im
Getriebe der Parteien alle Stützen, um eine wirkliche Herrschaft zu begründen. Deshalb
legte er im Februar 1873 die Krone freiwillig nieder. Seitdem ist das unglückliche
Land, das sich nun eine Republik nennt, aufs neue der Anarchie und dem wildesten
Bürgerkriege verfallen. Carlisten, Alfonsisten, einheitstaatliche Republikauer, Föderalisten
oder bundesstaatliche Republikaner,*) Communisten und Sozialisten — das sind die
Namen nur der Hauptparteien, die nun mit Worten und mit Waffen um die Herr-
schaft kämpfen. Zerrüttete Finanzen und vollständige Creditlosigkeit des Staates, Un-
sicherheit aller öffentlichen Zustände, Hader in politischen und religiösen Fragen, er-
bitterter Bürgerkrieg in den meisten Theilen des Landes: das ist gegenwärtig (anfangs
1874) das.traurige Bild des an politischen Parteien überreichen Landes, in dem stets
die Generäle und die Armee die Politik machen. Bei der Zersplitterung der Parteien,
die jede Mehrheit und jede geordnete Regierung unmöglich macht, ist leider auch keine
Hoffnung auf eiue baldige gesetzliche und regelmäßige Entwickelnng vorhanden.
Spanien läßt sich wie eine Insel betrachten, worauf daö Ausland weniger ein-
wirkt; deshalb seine Eigenthümlichkeiten in Glaubenssachen, Sitten und Trachten, und
selbst in Werken der Poesie und Kunst. In seinen Genüssen ist das Volk mäßig, in
geistigen Anlagen braucht es keiner andern Nation zu weichen. Bei solchen Voraus-
setzungen müßten die Spanier auch auf wissenschaftlichem Gebiete Bedeutendes geleistet
haben, wenn nicht ihr Genius auf doppelte Weise, kirchlich und politisch, Jahrhunderte
hindurch eingezwängt worden wäre. Die Poesie konnte sich in gewisfer Richtung freier
*) Statt der Verschiedenheit der Provinzen innerhalb des Rahmens des einheitlichen
Staates, den Ferdinand und Jsabella vor fast 100 Jahren gegründet, durch angemessene
Vertretung und Verfassung einen Ausdruck zu geben, wollen diese denselben in 13—15
Einzel - Staaten zerlegen, die dann in einen Staatenbund zusammengefaßt werden
sollen.