1874 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor, Rohmeder, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
796 Europa — D eutsch es Reich.
Diese Grundrechte waren allerdings eine schätzbare Arbeit, die auch fast
uberall Anklang fand und sicher nicht in Vergessenheit gerathen wird. Aber
von praktischem Werthe konnte sie nur dann sein, wenn konkrete Gesetze sich
daran schlössen und durch diese eine Krystallisirung jener stattfand; im an---
dern Falle mußte die Agitation für dieselben auf bloße Phrasen hinaus-
laufen. Und viel kostbare Zeit war darüber hingegangen. Die Physiogno-
mie der Regierungen und die Stimmung des Volkes hatte sich unterdes
nicht wenig geändert: jene hatten gesehen, daß es in Deutschland nicht, wie
in Frankreich, zum Aeußersten und zur Vertreibung der Fürsten kam, be-
sonders die zu Wien und Berlin waren ihrer stürmischen konstituirenden
Versammlungen Meister geworden, und im Volke hatte die Energie des
Begehrens beträchtlich nachgelassen. Damit hatte aber auch das Parlament
die Hauptstütze seiner Macht, die in den augenblicklichen Verhältnissen, in
der großen Erregtheit Deutschlands bestand, verloren und der günstigste
Moment sür Lösung der Hauptaufgabe desselben war vorüber. Das Thun
des Parlaments war fortan kraftlos, es schuf zwar eine Staatsänderung,
allein bloß auf dem Papier. Doch war sein Endbeschluß höchst merkwür-
dig: die Majorität beschloß nämlich (nach dem kurzen Provisorium einer
Centralgewalt unter dem Erzherzog Johann) die Gründung eines
deutschen Bundesstaates unter Führung des mächtigsten der
rein deutschen Staaten und mit Ausschluß Oesterreichs, aber
zugleich ein enges Bündnis mit dem Kaiserstaate, und wählte am 28. März
1849 Friedrich Wilhelm Iv. von Preußen zum erblichen deutschen Kaiser.
Allein der preußische König wies eine Krone zurück, die nicht „von Gottes
Gnaden" kam, sondern ihren Ursprung in einer revolutionären Bewegung
hatte; auch war man in Berlin nicht gerüstet, um mit Oesterreich und
Baiern, den entschiedenen Widersachern, es aufnehmen zu können. Die ver-
hängnisvolle Antwort schlug verwirrend in die Hoffnung Tausender, das
Parlament kam in große Verlegenheit, Oesterreich rief seine Landsleute aus
der Paulskirche ab, Preußen desgleichen, die ganze Rechte trat aus, der
Rest (das Rumpfparlament) verlegte seinen Sitz nach Stuttgart und wurde
schließlich vom würtembergischen Könige ausgewiesen. So wurden durch
dieses Verhalten gegen die Versammlung und ihr Werk die Männer, welche
die Einigung Deutschlands auf dem Wege friedlicher Entwicklung
durchzuführen versuchten,^getauscht und von der Bühne verdrängt, auf wel-
cher jetzt das anarchische, dämonische Chaos den Fürsten entgegentrat, das
sie nun durch ihre Heere besiegen lassen konnten. Vielfache Gährungen und
Aufstände zu gewaltsamer Durchführung der Reichsverfassung wurden blutig
niedergeschlagen; in einem zur Wahrung des schleswig-holsteinischen Rechtes
energie- und erfolglos gegen die Dänen geführten Feldzuge überließ man