1874 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor, Rohmeder, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Europa —
Österreich-Ungarn.
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der Bildung, des Handels, des Völkerverkehrs. Noch jetzt sprechen und schreiben
in Ungarn viel mehr Menschen deutsch, als magyarisch; das Deutsche
wird überall in Ungarn verstanden, nicht aber das Magyarische.
Denn was Heroen wie Ludwig und Matthias in der Kraftzeit des selbständigen Un-
garns versäumt hatten, war später nicht nachzuholen. Nach Corviuus Tode sank Un-
garns Macht und Bedeutung. Schon längst (seit dem Aussterben der Arpaden 1301)
war das Reich unter dem Einflüsse einer übermächtigen Aristokratie ein Wahlreich ge-
worden; es gab schwache Regenten, Zerwürfnisse im Reich, Niederlagen im Krieg mit
den Türken, namentlich die bei Mohacs 1526 (Tod Ludwig Ii.); ferner eine zwie-
spältige Königswahl, wodurch die Krone an Oesterreich, Siebenbürgeu aber abhanden
kam*): widrige Kircheuzwiste zwischen Katholiken und Protestanten, deun auch die Je-
suiten fanden sich ein; und außerdem große Läuderverluste. In Oseu schlug auf 160
Jahre ein türkischer Beglerbeg seine Residenz auf, und nur ein Rest Ungarns verblieb
dem neueu Königshause Habsburg, unter dessen Prinzen die Magyaren, eingegangener
Verbindlichkeit gemäß, von nun an ihren König zu wählen hatten. Endlich, im letzten
Drittel des 17. Jahrhunderts, als der türkische Halbmond zu erblassen begann, führte
das Glück dem Kaiserhause nacheinander einige tüchtige Generale zu: den Montecuculi
aus Italien, der 1664 bei St. Gotthard wieder bewies, daß mau Türken schlagen
könne; ven Herzog Karl von Lothringen, der 1683 Wien retten half, 1686 Buda im
Sturm nahm und 1687 bei Mohacs die frühere Niederlage daselbst rächte; endlich den
edeln Prinz Eugen von Savoyen, der im glorreichen Kampfe bei Zentha 1697 die
Befreiung Ungarns vollendete, und später bei Peterwardein und um Belgrad eben so
ruhmreich focht. So wurde durch österreichische und deutsche Heere Ungarn den Türken
wieder abgerungen und gleichzeitig der Aufstand einer den Türken verbündeten Adels-
Partei niedergeschlagen.
Siege tragen ihre Frucht. Kaiser Leopold durfte (1687) es wagen, durch den
ungarischen Reichstag, der dnrch eine blutige Verfolgung der Protestanten (Blutgericht
zu Eperies!) erschreckt war, die Erblichkeit der Krone wiederherstellen und das wichtige
Recht, verfassungswidrigen Verordnungen sich widersetzen zu dürfen, aufheben zu lassen.
Uebrigens galt Ungarn bloß durch Personalunion mit Oesterreich verbunden und wurde
unter Mitwirkung eines Reichstages regiert, in welchem die Prälaten, die Magnaten,
der niedere Adel und die sogen, königlichen Freistädte vertreten waren. Das Band
zwischen Ungarn und Oesterreich ward sichtbar fester, und in welcher freundlichen Weise
sich die Verhältnisse gestalteten, sah man sowohl an der Pracht, womit die ungarischen
Maguaten das kaiserliche Hoflager zu Wien zierten, als auch an dem treuen Eifer, wo-
mit sie für „ihren König" Maria Theresia sich waffneren und in der That die
österreichische Monarchie retteten. Weiter gingen sie indes in der Untertänigkeit nicht,
ihre Staatsrechte wußten sie zu bewahren, und bei jedem Thronwechsel mußten die-
selben vom Herrscher beschworen werden. Alle iunern Verhältnisse des Landes blieben
aber dabei rein mittelalterlicher Art, und Ungarn blieb in seiner materiellen und geistigen
*) Dem von der einen Partei gewählten tapfern Woiwoden von Siebenbürgen,
Johann Zapolya, stellte die andre Partei den Ferdinand von Oesterreich
- Brnder Kaiser Karls V., entgegen.