1874 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor, Rohmeder, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Amerika.
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Iv. Amerika.
747680 Q.-M., 84,524000 Bewohner.
Man hört diesen Continent häufig die neue Welt nennen; es fragt
sich, warum? — Zunächst, weil er früher unbekannt und in der That bei
seiner überraschenden Entdeckung etwas durchaus Neues für den Europäer
war. Neu oder jugendlich vielmehr zeigte sich aber auch sein ganzes
Aeußere, sowohl was den Boden als was die Bevölkerung betraf. Seine
weiten Räume fanden sich nur an wenigen Stellen zum Anbau benutzt,
unermeßliche Wiesenländer lagen herdenlos da, gleich unermeßliche Urwälder
waren noch nicht gelichtet, die Wildheit der Ströme noch ungebändigt, die
Metallschätze im Innern des Bodens noch unberührt, die spärlichen Be-
wohner meist noch in der Kindheit des geselligen Lebens, und somit fast
alles in einem Zustande, der fast auf eine jüngere Schöpfungszeit hinzu-
weisen schien. Amerika konnte also in zwiefacher Hinsicht neu heißen.
Betrachtet man aber die Kultur, die auf seinem jugendlich frischen Boden,
unter einem rasch anwachsenden Menschengeschlechts sich dort vor unfern
Augen gestaltet und die offenbar einer großen Zukunft entgegenstrebt, so
ist die Benennung neue Welt dreifach gerechtfertigt.
Im Gegensatz zu dieser neuen Welt wird nun unser Europa ge-
wöhnlich zur alten gerechnet, und nicht mit Unrecht; denn die europäische
Geschichte reicht bekanntlich mehr als ein paar Jahrtausende rückwärts,
und die Jugend unserer Völker liegt unstreitig schon längst in der Ver-
gangenheit. „Als Amerika entdeckt war," ruft Ritter aus, „da wurde der
europäische Continent ein Morgenland." Dieses Wort hat er in einer
seiner letzten Schriften noch schärfer ausgesprochen, indem er Amerika mit
seinen ausschließenden Kulturströmen als den Schauplatz bezeichnete, wo
möglicherweise unser Geschlecht seiner höchsten Reife entgegenschreiten werde,
und indem er Mexico wegen seiner beherrschenden Lage zwischen 2 Oeeanen und
wegen der Manchsaltigkeit der lebendigen Natur an seinen Höhenstufen als
den begünstigsten aller Erdräume pries. — Rechnen wir nun auch unser
Europa zur alten Welt, so solgt doch daraus keineswegs, daß man bei dem
Worte alt an Ermüdung und Hinfälligkeit denken müsse, an geistigen
Stillstand und Unfähigkeit zur Erzeugung und Ausführung großer Ideen.
Die Kultur der Menschheit scheint freilich bestimmt, den Erdball von Ost
nach West zu umwandern; wenn aber jemand behaupten wollte, sie gehe
bereits damit um, ihren Thron in Amerika auszuschlagen, so mag dieses
für manches Ohr eine wohlklingende Phrase sein, es sehlt ihr aber die
Wahrheit, denn veraltet ist der Kern des europäischen Lebens