1914 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Reinhard, Rudolf, Seydlitz, Ernst von, Friedrich, E., Clauß, O.
- Hrsg.: Oehlmann, Ernst
- Auflagennummer (WdK): 26
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Das Nilgebiet.
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C. Das Nilgebiet.
Der ö. Quellarm des Nils* entströmt dem Viktoria-See? (66 000 qkm), der w., der
Semliki, stammt aus dem kleineren, flachen und sumpfigen Edward-See; beide vereinigen
sich im Albert-See.
Der aus diesem nach N. ziehende „Bergstrom" (Bahr el-Dschebel) heißt weiter abwärts Bahr
el-Äbjad, d.i. Klarer Fluß, gewöhnlich „Weißer Nil", weil er seine Sinkstoffe im flachen Überschwem-
mungsgebiete der Äquatorialplatte abgelagert hat. Links wird er kaum verstärkt durch den Gazellen-
strom (Bahr el-Ghasal), rechts stärker durch den wasserreichen Sobat von Habesch her; bei Chartüm
vereinigt er sich, 3280 m breit, mit dem von Habesch kommenden, an Sinkstoffen überaus reichen, hier
1670 m breiten Bahr el-Äsrak, d. i. Trüber Fluß, auch „Blauer Nil", und nimmt rechts in Nubien den
Ätb ara auf, die beide dem Nil den Schlamm zuführen, der Ägypten am meisten befruchtet (s. unten und
S. 489 f.) Bei Assuan (L^ene) bildet der Nil die letzten der sechs Stromschnellen und gewinnt, Ägypten
ohne Nebenflüsse durchströmend, aber im Delta viele Seitenläufe absondernd, in zwei Hauptarmen das
Meer. Sein Lauf mißt von den Ripon-Fällen n. vom Viktoria an 5589, von der Quelle der Kagera
6397 km und ist etwa so lang wie drei Fünftel des Weges vom Äquator nach dem Pole. Diese Lauflünge
des längsten aller Ströme verteilt sich folgendermaßen in km von den Ripon-Fällen an bis
Wadaläi . . . ... 456 Berber . . 2875
Lado ... 799 Wadi Halfa .... . . 4040
See Nuer . . . . . . 1548 Kairo . . 5330
Chartüm . . . . . . 2510 Rosette-Mündung. . . . 5589
Das Gebiet des Nils, des eigenartigsten Stromes der Erde, umfaßt mit seinen 2,87 Mill. qkm nahezu
ein Drittel des Erdteils und bildet zu dessen beiden Hauptteilen in gewissem Sinn einen dritten. (S. S. 473.)
Der Strom ist keineswegs ans seinem ganzen Laufe schiffbar, aber dennoch streben alle Verkehrswege
nach seinen Uferplätzen, und Karawanen und neuerdings Eisenbahnen ersetzen Strecken, wo die Schiffahrt
gehemmt ist. Zunächst hindern die Ripon-Fälle die Ausfahrt aus dem Viktoria, und sehr ungünstig
steht es auch um die Strecke, wo sich der „Klare Strom" durch ein Granitgebirge zu arbeiten hat. Aber
von Red sch af — 5° N — bis Chartüm ist eine fast gefällelose Strecke von 2000 km immer schiffbar. Vom
Dezember an steuert die lange Reihe der Handelsschiffe mit den dreieckigen Segeln aufwärts und seitwärts
in den Gazellenstrom. Erhebt sich dann um die Frühjahrsnachtgleiche der Südwind, so gleiten die Fracht-
schiffe wieder abwärts nach dem großen Markt am Einflüsse des „Trüben Stromes". An Handelsware
fehlt es niemals, wenn auch das „schwarze Ebenholz", d. s. Sklaven, sorgfältig versteckt werden muß. —
Auf dem Gebiete der Stromschnellen bis Wadi Halfa hört jede regelmäßige Schiffahrt auf, hingegen wird
der erste Katarakt bei Assuan bequem durch Schleusen umgangen.
Was aber dem Strome vor allen anderen sein Gepräge gibt, die regelmäßigen Nilschwellen, ent-
stammt dem Umstande, daß das Wasser, das von Chartüm und Berber zwischen Wüsten hindurch ins Mittel-
meer rollt, aus drei verschiedenen Gebieten herrührt. Am wenigsten ist an den Schwellen beteiligt das
Gebiet der großen Seen, dessen Abfluß im Bahr el-Dschebel unterwegs aufgehalten und fast aufgezehrt
wird, mehr schon der rotbraune Sobat, der den Weißen Strom speist, am meisten Habesch, wo von Juni
bis August die großen Regenmassen fallen, die schlammreichen Gewässer, vor allem der Blaue Strom,
raschen Falles in die Ebene hinabrauschen und schon vom Juli an bis in den September die Überflutung
Ägyptens herbeisühren. Das dritte Speisegebiet ist das Becken des Gazellenstroms. Hier regnet es
zur selben Zeit, aber das Land ist flach und niedrig und verwandelt sich in einen großen See, dessen Ge-
wässer so langsam abströmen, daß sie unten am Flusse die Überschwemmung, wenn auch in geringer Höhe,
vom August bis in den Oktober, ja bisweilen bis zum Dezember fortsetzen. Ihr Wasser bringt einen treff-
lichen Nährstoff in der Pottasche, die aus der Asche der von Bränden zerstörten Wiesen am Gazellenstrome
herrührt. So wurde Ägypten ein eigenartiges Geschenk der Natur. Die Wirkung des Stromes wird noch 1 2
1 S. Bilder S. 518.
2 Der Biktoria-See ist ein Sammelbecken ähnlich wie der Obere und der Michigan lnnschig'ni-See in Nordamerika.
Unter seinen zahllosen Zuflüssen kann vielleicht die Kagera oder deren Nebenfluß Njawarongo, genauer wieder dessen
Zufluß Rukarära, als oberster Lauf des Nils betrachtet werden. Aber die Wassermenge der Kagera ist gegenüber der
Abslußmasse des Viktoria doch so gering, daß dieser als Ursprung des Nils gelten kann und das Wort Spekes bei seiner
Entdeckung: »The Nile is settled« — noch heute zu Recht besteht.
v. Seydlitz, Handbuch. 26. Bearbtg.
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