1887 -
Berlin
: Dümmler
- Autor: Baumgarten, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
Ein Tag und eine Nacht in Kairo.
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Mann dort mit seinem Korbe voll Zuckerwerk ruft euch zu: „Für
einen Nagel! o Zuckerwerk!" Das ist ein schlimmer Gesell, da er
die Kinder und Dienstboten veranlaßt, Nägel und andere Kleinig-
feiten aus dem Hause zu stehlen, um dieselben gegen seine Ware
umzusetzen. Eine Art von Gemüse, Tirmus genannt, bieten sie mit
den Worten aus: „O wie süß das kleine Söhnchen des Flusses!",
die Citronen dagegen mit dem Ruse: „Gott mache sie leicht, o Ci-
tronen!" und die gerösteten Kerne einer Art Wassermelone mit dem
Schrei: „O Tröster dessen, der in Not, o Kerne!"
Leute aller Trachten und aller Zungen, in ruhiger und in leb-
haster Stimmung, geben das vollständige Bild eines Karnevals, der
tagtäglich die Hauptstraßen Kairos durchwogt. Dort kommt gravi-
tätisch, seinen langen, weißen Bart behäbig streichend, ein türkischer
Bey geritten, während der neben ihm laufende Diener, die Pfeife
tragend, den Arm auf den Rücken des Tieres gelegt hat. Der Schritt
seines Pferdes, das ein blutrotes, mit Gold gesticktes und mit Trod-
deln behängtes Zaum und Sattelzeug bedeckt, ist ebenso langsam wie
der Gedanke seines Herrn. Schnell zu reiten hält der vornehme
Türke für unziemlich und seinem Range unangemessen. „O du Sohn
des Hundes!" donnert er einem armen Araber entgegen, der im
Vorbeigehen sein Kleid gestreift hat und scheu und schüchtern in der
Menge verschwindet. Da taucht neben ihm ein Geist, ein lang-
gelockter, hagerer Mensch auf; sein Kleid ist aus tausend bunten
Flicken zusammengesetzt, sein Kopf ist von einer Art Schellenkappe
bedeckt, sein Auge ist irre, seine mageren Hände erhebend, bettelt er
um ein Almosen. Das ist ein Verrückter oder Heiliger der geehrten
Stadt Kairo. Die Verrückten werden nämlich von den Anhängern
des Propheten sür heilige Personen angesehen, da, ihrer Meinung
nach, dieselben von Gott dadurch besonders bevorzugt seien, daß ihr
Geist bereits im Himmel weile, während ihr gröberer Teil sich hier
auf Erden unter sterblichen Menschen befinde. Sie dürfen die arg-
sten Handlungen ungestraft begehen und werden mit der bewundernngs-
würdigsten Geduld geführt und geleitet. Der feine arabische Effendi
in seiner kleidsamen Mamelukentracht bildet hier in Kairo den Lion
der arabischen Gesellschaft. Er kleidet sich mit einer gewissen Ele-
ganz, die freilich darin nie etwas Anstößiges findet, daß aus einer
goldgestickten roten Jacke der Ellenbogen hervorsieht oder die Schuhe
ziemlich sichtbar zerplatzt sind. Er begrüßt den koptischen Moallim
oder Schreiber der Regierung, dessen bleiches, rundes Gesicht, noch
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