1911 -
Halle a. d. S.
: Verl. der Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Lampe, Felix
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Höhere Mädchenschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Mädchen
Bericht« von Lntdeckungs- und Sorschungsreisen. Z. Alexander v. Humboldt. 107
Die Geschichte der Pflanzendecke und ihre allmähliche Ausbreitung über die
öde Erdrinde hat ihre Epochen, wie die Geschichte der wandernden Tierwelt.
Ist aber auch die Fülle des Lebens überall verbreitet, ist der
Organismus auch unablässig bemüht, die durch den Tod entfesselten
Elemente zu neuen Gestalten zu verbinden, so ist diese Lebensfülle und
ihre Erneuerung doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche verschieden.
Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone; denn Flüssigkeit ist
Bedingnis zum Leben. Tiere und Pflanzen liegen hier viele Monate
hindurch im Winterschlaf vergraben. In einem großen Teile der Erde
haben daher nur solche organische Wesen sich entwickeln können, welche
einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff widerstehen und ohne
Blattorgane einer langen Unterbrechung der Lebensfunktiouen fähig sind.
Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannigfaltigkeit der
Gestaltung, Anmut der Form und des Farbengemisches, ewige Jugend
und Kraft des organischen Lebens zu. Wenn man aus unseren dick-
laubigen Eichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäenkette nach Welsch-
land oder Spanien hinabsteigt, wenn man gar seinen Blick auf einige
afrikanische Küstenländer des Mittelmeeres richtet, so wird man leicht zu
dem Fehlschlüsse verleitet, als sei Baumlosigkeit der Charakter heißer
Klimate. Aber man vergißt, daß das südliche Europa eine andere
Gestalt hatte, als pelasgische oder karthagische Pflanzvölker sich zuerst
darin festsetzten; man vergißt, daß frühere Bildung des Menschengeschlechtes
die Waldungen verdrängt, und daß der umschaffende Geist der Nationen
der Erde allmählich den Schmuck raubt, welcher uns in dem Norden er-
freut, und welcher (mehr als alle Geschichte) die Jugend unserer sittlichen
Kultur anzeigt. Das Malerische italienischer Gegenden beruht vorzüglich
auf dem lieblichen Kontrast zwischen dem unbelebten, öden Gestein und
der üppigen Vegetation, welche inselförmig darin aufsproßt. Wo dieses
Gestein minder zerklüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammenhält,
wo diese mit Erde bedeckt ist (wie an den reizenden Ufern des Albaner
Sees), da hat selbst Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün,
als der Bewohner des Nordens sie wünscht. Auch die Wüsten jenseits
des Atlas und die unermeßlichen Ebenen oder Steppen von Südamerika
sind als bloße Lokalerscheinungen zu betrachten. Diese findet man, in
der Regenzeit wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautartigen
Mimosen bedeckt; jene sind Sandmeere im Innern des alten Kontinents,
große pstanzenleere Räume, mit ewig grünen, waldigen Ufern umgeben.
Nur einzeln stehende Fächerpalmen erinnern den Wanderer, daß diese
Einöden Teile einer belebten Schöpfung find. Im trügerischen Lichtspiele,