1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Lerche, Otto
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Seminar
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
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A.l8ur Allgemeinen Erdkunde.
das wäre ein viel schlimmerer Frevel als irgendwelche Zerstörung von Eigentum,
das menschlicher Fleiß geschaffen hat und ersetzen kann; aber unwissentlich lasseu wir
die ausgedehntesten Entwaldungen in Indien und Ceylon der Kaffeepflanzungen
halber zu, Entwaldungen, die den sicheren Ruin von einer Menge fruchtbaren Bodens
herbeiführen müssen. Und da ein Ersatz dafür viele Generationen hindurch un-
möglich beschafft werden kann, so muß dies Verfahren, wenn nicht beizeiten darin
innegehalten wird, mit Notwendigkeit das Klima ferner verschlechtern und das Land
immer tiefer in Armut stürzen.
Kürze der Dämmerung in der Nähe des Äquators. — Ein Haupt-
unterschied der Äquatorialzone von der gemäßigten und kalten ist die Kürze der Däm-
mernng, der rasche Ubergang vom Tage zur Nacht und umgekehrt. Da dies uur
die Folge des senkrechten Hinabsteigens der Sonne statt des schiefen ist, so ist der Unter-
schied am auffallendsten, wenn wir die Dämmerung zur Zeit unseres längsten Tages
mit der der Tropen vergleichen. Sogar bei uns ist die Zeit der Dämmerung um die
Tag- und Nachtgleiche viel kürzer, und die der Tropen ist vermutlich nicht viel mehr
als um ein Drittel kürzer als unsere Äqninoktialdämmerung. Reisende übertreiben
in der Regel die Kürze des tropischen Zwielichtes, wenn sie z. B. sagen, man könne
nach dem Verschwinden der Sonne kaum noch eine Seite eines Buches leseu. Bei
Büchern mittlerer Größe und mäßig raschem Lesen ist dies entschieden unwahr, und
es erscheint daher geraten, so genau wie möglich den richtigen Sachverhalt zu schildern.
Bei gutem Wetter ist die Luft unter dem Äquator durchsichtiger als bei uus,
und die Stärke des Sonnenlichtes ist gewöhnlich bis zum Augenblick, wo die Sonnen-
scheide den Horizont berührt, sehr bedeutend. Sobald sie verschwunden ist, tritt eine
merkliche Verdüsterung ein; diese aber nimmt während der nächsten 10 Minuten
kaum zu. Während der darauffolgenden 10 Minuten wird es jedoch rasch dunkler,
und 25 Minuten nach Sonnenuntergang ist die vollständige Dunkelheit der Nacht
nahezu erreicht. Des Morgens sind die Vorgänge vielleicht noch auffallender. Noch
um Uhr ist die Dunkelheit vollkommen; dann aber unterbricht hie und da ein
Vogelruf die Stille der Nacht, wohl ein Zeichen, daß Spuren von Dämmerlicht am
östlichen Horizont sich merkbar machen. Etwas später hört man den melancholischen
Laut der Ziegenmelker, Froschquaken, Klagetöne der Bergdrosseln und fremdartiges
Geschrei von allerhand Vögeln und Säugetieren, wie sie gerade der Gegend eigen.
Etwa um halb sechs Uhr bemerkt man den ersten Lichtschimmer; erst nimmt er lang-
sam, dann so rasch zu, daß es um 5^ Uhr sast taghell ist. Nun tritt die nächste Viertel-
stunde hindurch keine bedeutende Veränderung ein; dann aber taucht plötzlich der
Rand der Sonne ans und bedeckt die von Tau strotzenden Blätter mit goldglänzenden
Perlen, schickt goldene Lichtstrahlen weithin in den Wald und weckt die Nawr zu
Leben und emsigem Treiben. Vögel zwitschern und flattern, Papageien kreischen,
Affen schwatzen, Bienen summen zwischen den Blumen, und prachtvolle Schmetter-
linge wiegen sich langsam in den Lüften oder sitzen mit ausgebreiteten Flügeln in:
belebenden Lichte. Die erste Morgenstunde ist in den Tropen mit einem zauberischen
Reize ausgestattet, den man nie vergessen kann. Alles ist erfrischt, gekräftigt durch
den kühlen Tau der Nacht; junge Schößlinge sind oft mehrere Zoll lang seit dem Abend
gewachsen. Die Luft ist so erquickend wie möglich; die Kühle des ersten Frühlichts,
die an sich sehr angenehm war, weicht einer belebenden Wärme, und der helle Sonnen-
schein beleuchtet die herrliche Pflanzenwelt der Tropen und stattet sie mit jedem
Reize aus, den des Malers Zauberkunst oder des Dichters begeistertes Wort als Ideal
der Erdenschöne hingestellt hat.