1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Lerche, Otto
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Seminar
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
6. Das norddeutsche Tiefland.
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Die Felsengrundlage. Das norddeutsche Tiefland ist mit dem Schutt der Eiszeit
bestreut, den man geologisch jung nennen kann, und aus den Alpen und Mittelgebirgen
führen seit Jahrtausenden die Flüsse Sand und Schlamm heraus, den sie im Tiefland
ablagern. Aber darum ist dieses Land doch kein junges Erzeugnis der dahinterliegenden
Gebirge. Man kann nicht sagen wie von Ägypten: es ist ein Geschenk seines Stromes.
Das angeschwemmte Land ist an der Ostsee, wo es überhaupt vorkommt, ein schmaler
Streifen und breitet sich nur im Weichsel- und Memeldelta aus. An der Nordsee
wird es größer und nimmt am meisten Raum im Rheindelta ein. Unter seiner ein-
förmigen Schuttdecke verbirgt das norddeutsche Tiefland einen gebirgshast unregel-
mäßigen Bau voll Spuren und Resten von Falten, Spalten und Verwerfungen.
Man kann hoffen, daß eines Tags die Gebirge dieser Zone vor unserm geistigen Auge
wiedererstehn werden, wie die uralten Alpen des Mittelgebirgs wieder ausgebaut
worden sind. Man ahnt schon jetzt Gesetzmäßigkeiten dieser begrabenen Gebirgs-
bildnng, wenn man Reste anstehender Kreidefelsen in Mecklenburg zwischen Süd-
osten und Nordwesten ziehen sieht, oder wenn in dieser oder einer rechtwinklig darauf-
stehenden Richtung Täler und Seebecken fast parallel aufeinander folgen oder sich
nebeneinander wiederholen. Wie mächtig auch der Gesteinsschutt an manchen
Stellen anschwillt, die großen Formen des norddeutschen Tieflands gehören diesem
alten Untergrund an. Sehr vereinzelt, aber an nicht wenigen Stellen tritt er selsen-
Haft zutage. Helgoland und Rügen (Kreide von Stubbenkammer 133 Meter) find
die klassischen Beispiele. Gipsberge der permischen Formation zeigen bei Segeberg
in Holstein, Lübtheen im Mecklenburgischen, Sperenberg bei Berlin, Hohensalza in
Posen darunterliegende Salzstöcke von einer Mächtigkeit an, die zum Teil gewaltig
ist. Wo nicht Gipsberge hervortreten, zeugen Höhlen und Erdfälle für das Dasein
des leichtlöslichen, bald ausgewaschenen Gesteins in der Tiefe. In Muschelkalk-
Hügeln bei Kalbe an der Milde und Rüdersdorf bei Berlin sind wichtige Steinbrüche
aufgeschlossen. An den Küsten und auf den Küsteninseln von Mecklenburg und Pom-
mern, bei Fritzow, Kammin, Soldin, Bartin tritt Jurakalk hervor, bei Dobbertin
blauer Liaston in einem 80 Meter hohen Rücken. Besonders verbreitet sind aber
Kreidegesteine, die von der Gegend von Itzehoe, wo sie eine Geestinsel bilden, über
Heiligenhafen, Schmölln, Usedom (Lübbiner Berg 54 Meter), Wollin bis Kalwe
bei Marienburg ziehen. Noch viel weiter verbreitet sind Ablagerungen eines Meeres
der mittleren Tertiärzeit, das sich allmählich nach Nordwesten zurückzog, nachdem
es an seichten Gestaden und in den Deltas der aus dem Gebirge herabsteigenden
Flüsse organische Massen begraben hatte, aus denen dann mächtige Braunkohlen-
flöze entstanden.
Die Schuttdecke. Der Boden Norddeutschlands trägt die Spuren einer großen
Bedeckung mit festem und flüssigem Wasser. Reste gewaltiger Stromtäler und Seen
und vor allem einer von West bis Ost reichenden Eisbedeckung geben ihm seine größten
und wirksamsten Formen. So allgemein verbreitet diese Reste sind, so ungleichmäßig,
ja verworren ist ihre Lagerung. Die Trümmer, die das Wasser in diesen verschiedenen
Formen hinterließ, sind ausgelaugt, großenteils der Fruchtbarkeit beraubt und höchst
ungleich verteilt. Es fehlen die erzreichen Gesteine der deutschen Mittelgebirge,
die großen Kohlenlager älterer Formationen. Tertiäre Braunkohlen treten in den
Landrücken auf. Solquellen verraten da und dort den Reichtum an Salz in der
Tiefe. Vereinzelte Lager von Raseneisenstein, Gips, Kreide werden sorgsam aus-
gebeutet. Der Ackerbau beklagt die Kalkarmut des Bodens, besonders des Sandes.