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1. Erdkundliches Lesebuch für die Oberstufe höherer Lehranstalten und Seminare - S. 80

1911 - Breslau : Hirt
80 B. Zur Länderkunde. nimmt der Hauptfluß selbst eiue westliche Richtung, bis er an seinem herrlichen Felsen- tore bei Bingen nordwärts in eine ganz andere Landschaft gezwungen wird. An derselben Stelle fließt ihm die Nahe nach einem 120 km langen, sich mehrfach durch anziehende Felsentäler hindurchwindenden Laufe zu und setzt die Ebene nach Westen bis Kreuznach, bis zur Porphyrnadel des Rheingrafensteins fort. Ein überaus bevorzugter Landstrich! Man denke nur an die fruchtbaren Auen der Nidda und Wetter im Osten, an die offene, lacheude Weinlandschast der unteren Nahe im Westen, an die fruchtbaren Ebeneu, die gegeu den Donnersberg hin zu Hügelu sanft anschwellen, an die vielen und vielbesuchten Heilquellen am Taunus (Wiesbaden, Sodeu, Homburg, Langenschwalbach, Schlangenbad, Nauheim u. a.) und endlich an die von diesem Gebirge gegen rauhes Klima geschützten, von zauberisch mildem Lufthauche berührten Gefilde am rechten Rheinufer, wo, der ganzen Wärme der Mittagssonne preisgegeben und von ihren Strahlen senkrecht getroffen, neben den üppigsten Saaten die edelsten Trauben gedeihen. Über ihre lichten Fluren werfen die waldigen Häupter der den Gesichtskreis begrenzenden Berge ein ge- wisses feierliches Dunkel, aus dem erust und hehr die Germania vom Niederwalde herniederschaut. Hier liegt das gelobte Land des heiteren Rheingaues, „des Rheins gestreckte Hügel, hochgesegnete Gebreiten, Auen, die den Fluß bespiegeln, wein- geschmückte Landesweiten" (Goethe im Motto zu einer Reise am Rhein), mit seinem lustigeu, leicht erregbaren, eigenartigen Volksleben, das trotz der oft herben Prosa der gegenwärtigen Überkultur in der Erwerbsweise immer noch durch deu göttlichen Humor des Weius von dem Goldfaden der Poesie durchwebt ist. „Seit tausend Jahren", bemerkt W. H. Riehl, dessen Heimat diese Gegenden sind, „ist das Rheinganer Leben gleichsam in Wein getränkt, es ist ,weingrün' ge- worden wie die gnten alten Fässer. Ties schafft ihm feine Eigeuart. Denn es gibt vielerlei Weinland in Deutschland, aber keines, wo der Wein so eins und alles wäre wie im Rheingau. Hier zeigt sich's, wie ,Land und Leute' zusammenhängen. Der Wein ist allerwege das Glaubensbekenntnis des Rheingauers. Wie man zu Crom- wells Zeit in England die Royalisten an der Fleischpastete, die Papisten an der Ro- sinensnppe, die Atheisten am Roastbeef erkannte, so erkennt man seit nnvordenk- licher Zeit den Rheinganer an der Weinflasche. Man erzählt sich im Rheingau von Müttern, die ihren neugeborenen Kindern als erste Nahrung ein Löffelchen guten alten Weines einschütteten, um ihr Blut gleich in der Wiege zum rechten Pulsschlag der Heimat zu befeuern. Ein tüchtiger ,Brenner', wie man am Rhein den voll- endeten Zecher nennt, trinkt alltäglich seine sieben Flaschen, wird steinalt dabei, ist sehr selten betrunken und höchstens durch eine rote Nase ausgezeichnet. Die Cha- rakterköpfe der gepichteu Trinker, der haarspaltenden Weingelehrten und Weinkenner, die übrigens doch gemeinhin mit verbundenen Augen durch die bloße Zunge noch nicht den roten Wein vom weißen unterscheiden können, der Weinpropheten, der Pro- bensahrer, die von einer Weinversteigerung zur anderen bummeln, um sich an den Proben gratis satt zu trinken, finden sich wohl nirgends anders in so frischer Eigenart als im Rheingau". „Das Zeitbuch des Rheingauers teilt sich nicht ab nach gewöhnlichen Kalender- jähren, sondern nach Weinjahren. Leider fällt die übliche Zeitrechnung, welche von einem ausgezeichneten Jahrgang zum anderen zählt, so ziemlich mit der griechischen nach Olympiaden zusammen." „Die ganze Redeweise des Rheingauers ist gespickt mit ursprünglichen Worten, die auf deu Weinbau zurückweisen. Man könnte ein kleines Lexikon mit ihnen füllen.
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