1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Lerche, Otto
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Seminar
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
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B. Zur Länderkunde.
stürzen sich frei durch die Luft von oben in den Fjord, so daß man unbenetzt unter
dem Falle mit dem Boote durchfahren kann. „Ich bin selbst", sagte Vibe. „in einem
Boote zwischen einem solchen Wasserfall und der überhängenden Klippe hingerudert,
ohne vom herabstürzenden Wasser benetzt zu werden."
So läuft die Küste nordwärts bis zum Vorgebirge Stad auf der Halbinsel Stad-
land, die sich wie ein gewaltiger Unterarm mit Hand ins Meer erstreckt und aus dem
die Küste begleitenden Jnselschwarm frei in den Ozean vortritt, so daß hier die
Küstendampfer oft von der Gewalt der Wogen erfaßt werden. Bon hier wendet
sich die Küste mehr nach Nordosten und bietet an den Fjorden, so namentlich am
Jörundfjord in den jäh abstürzenden Gebirgsmasfen oft die phantastischsten Fels-
formen. Am wildesten erscheinen die Felszinnen und Türme in Romsdal. Jenseits
Drontheim werden dann die Höhen wieder niedriger bis etwa zum 65. Grad n. Br.
Von da an nehmen die Felsgestade an Wildheit wieder zu und erreichen das höchste
Maß im Gebiet von Lofot. Den norländischen Küsten sind die zahlreichen Berghöhlen
eigentümlich, sowohl auf dem festen Lande, als auf den Inseln. Von den merkwür-
digen Gestalten der Inseln wird noch weiterhin die Rede sein. In Finmarken Herr-
schen auch noch die schroffen Küstenformen vor, doch erscheinen daneben auch Küsten-
kundschaften von milderem Charakter. Die Inseln werden größer, und die breiten
und tiefen Meeresbuchten fiud oft nur durch Laudengen (Eide) voneinander ge-
trennt, über die man im Mittelalter häufig die Fahrzeuge schleppte, um deu Seeweg
abzukürzen oder um die offene See zu vermeiden.
Endlich gehöreu zu den besonderen Landschaftsformen Skandinaviens die zahl-
losen großen und kleinen Inseln und Felstrümmer im Meere, die alle Küsten bis
auf sehr wenige Stellen vollständig und in dichtem Schwärm umsäumen. Schären
nennt sie der Norweger, ein Ausdruck, der mit unserem deutschen Worte Schere sich
deckt und auf das Zerschneiden des Wasserspiegels durch hohe oder niedrige Klippen
hindeutet. Wichtig für den Küstenverkehr wird dieser Schärenhof, Skjaergaard
(eigentlich Schärengarten), das heißt die See hinter den Klippen, dadurch, daß die
Schiffe, darunter auch die Dampfer für den Post- und Reiseverkehr, stets in ruhigem
Fahrwasser dahinfahren und selten den Gefahren des offenen Meeres ausgesetzt sind.
In Schweden und Rußlaud (Finnland) wird sogar zum Schutze der Küsten eine
Schärenflotte unterhalten, die aus flachgehenden, gepanzerten Kanonenbooten be-
steht. Alle norwegischen Inseln zusammen haben einen Flächenraum vou 22228 qkrn,
sind also größer als das Königreich Sachsen und umfassen siebeu von: Hundert der
Landfläche von Norwegen. Mehr als 1109 von diesen Inseln sind bewohnt, vielfach
allerdings nur von einer Familie. Eine sehr anschauliche Schilderung der Schären
gibt G. Wegener: „Ein einziges, wild grandioses Granitgetrümmer und dazwischen,
alles umsließeud und umbraudend, das unendliche Meer. Wer nie eine Schären-
landschaft gesehen hat, dem wird es kanm möglich sein, sich eine rechte Vorstellung
von diesem Panorama zu macheu. Man hat das Gefühl, als sei hier der Schauplatz
jenes ungeheuren Kampfes der Titanen gegen die Götter, und die vom eherueu
Himmel zurückgeprallten Felsenbrocken seien zu Tausenden in die aufkochende See
hinabgestürzt, um uuu in allen möglichen Zacken und Wölbungen daraus hervor-
zuragen. Bald liegen sie flach im Meere wie Schildkrötenschalen, glatt geschlissen
von den Gletschern der Vorzeit und den brandenden Wellen der Gegenwart; bald
ziehen sie in langen, rundlichen Hügelreihen dahin, anzusehen wie die ans der Meeres-
fläche auftauchenden Ringe einer riesigen Midgardschlange. Bald wieder ragen sie in
steilen, starreu Wändeu gleich Riesenmauern aus der Flut empor, oben in Spitzen und