1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Lerche, Otto
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Seminar
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
22. Auf dem antarktischen Inlandeis.
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unsere Gedanken von der Grandenr der Szenerie gefangengehalten, doch nur einen
Augenblick; dann denkt man unwillkürlich, was wir wohl jetzt in einem guten Nestau-
rant bestellen würden. In diesen Tagen hungerten wir sehr und wissen, daß sich dies
wahrscheinlich in den nächsten drei Monaten nicht ändern wird. Eine Granitklippe,
der wir jetzt zusteuern, ist über 1800 Meter hoch; sie zeigt viel entblößtes Gestein,
wohl infolge der heißen Sonne, die viel Tauwasser in die Täler hinabschickt. Den
ganzen Tag hindurch war der Mond im Gewölk sichtbar, eiue bekannte, doch so ganz-
lich verschiedeue Erscheinung gegen die letzte Zeit nur heißen Sonnenscheins und
weiter, weißer Pfade. Die Temperatur beträgt jetzt 7,3° R über Null; es ist ganz
warm in den Zelteu.
2. Dezember. Wir marschierten um 8 a. m. los. Alle vier Mann zogen den
einen Schlitten, Socks folgte mit dem zweiten hinterher. Er schlug bald [ein gewöhn-
liches Tempo ein und hielt wirklich vorzüglich stand. Die Oberfläche während des
Morgeumarsches war sehr schlecht, und wir hatten harte Arbeit. Die Sonne brannte
auf unsere Köpfe, und wir schwitzten stark, obwohl wir im Hemd und Nachthosen
arbeiteten, doch froren unsere Füße. Wir machten um 1 p. m. Rast und kochten etwas
Quan; das Fleisch war sehr zäh. Du armer, alter Kerl! Socks, der letzte uns ge-
bliebene Pony, ist nuu ganz allein. Er wimmerte die ganze Nacht nach seinem ver-
lorenen Kameraden. Um 1 p. m. waren wir nahe genug au die Erschütterungszone
herangekommen, um festzustellen, daß enorme Eispressungen und heftige Spaltungen
in der Richtung nach Osten stattfinden und uns so der leisesten Chance beraubten,
unseren Kurs auf den: Barrier weiter verfolgen zu können. Deswegen schlugen wir
nach der Mittagsrast eiue gerade südliche Route nach dem Lande zu eiu, welches sich
jetzt klar uach Osten wendet. Um 6 p. m. waren wir in unmittelbarer Nähe der Eis-
Pressungen an der Küste. Wir finden uns vor einem ungefähr 900 Meter hohen
roten Felsen und hoffen, diesen morgen besteigen zu können, um einen Ausblick über
das herumliegende Geläude zu nehmen. Dann werden wir wohl, wenn möglich,
unseren Weg mit dem Pony den Gletscher hinauf nehmen, dem Landeise entgegen
und auf diesem, wenn alles gut geht, zum Pole gelangen. Uns ist etwas bange zu-
mute, denn die Zeit ist kostbar, noch kostbarer der Proviant. Wir werden uns leichter
fühlen, wenn wir erst eine gute Route durch die Berge gefunden haben. Näher am
Land können wir jetzt die Natur der Berge besser unterscheiden. In südöstlicher Rich-
tuug vom Mouut Longstaff ist das Land mit viel mehr Eis bedeckt, als weiter nach
Norden zu; seine Gletscher sind, da die Täler sehr steif einfallen, stark gespalten. Die
Gletscher laufeu in nordöstlicher Richtung in den Barrier hinein. Genau gegenüber
von unserem Lager scheint der Schnee von den steilen Bergabhängen weggeweht
worden zu sein. Das Land vor uns, welches wir morgen zu besteigen haben, besteht
zweifellos aus stark verwittertem Granit. Aus weiter Entfernung betrachtet sehen
diese Granitblöcke wie vulkanisches Gestein aus, doch jetzt, wie gesagt, sind wir über
ihre Natur nicht mehr länger im Zweifel. Augenscheinlich hat die große Eismasse
ihren Weg über diesen Teil des Landes genommen, denn die gerundeten Formen
können kaum vou normaler Verwitterung hervorgeruseu worden sein. Enorme
Eispressungen vom Süden des Berges her müssen von einem Gletscher herrühren,
der an Größe alle überragt, die wir bis jetzt angetroffen haben. Der vom Shackleton-
Jnlet auslaufende Gletscher rust Störungen im Barriereis hervor, die jedoch lange
nicht derart intensiv sind, wie augenblicklich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.
Der Gletscher am Shackleton-Jnlet ist kurz. Wir sind jetzt ganz in der Nähe des
Landes und können die runden Gipfel großer Höhenzüge im Südosten sehen. Wenn
Cteorg-Eckert-Institut
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Braunschweig
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