1901 -
Glogau
: Flemming
- Autor: Hanncke, Rudolf
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Wersen wir noch einen Blick aus die Geschichte des Landes; die
große Ebene in der Mitte des Königreichs macht einen befremdenden
Eindruck (über 93000 Dkm, so groß wie das Königreich Portugal),
und die Geschicke dieser Niederung haben etwas Asiatisches. Hier'
war das Reich des Attila; mit seinen Hunnen hauste er in dem
großen Ringe. Dann erschienen die Avaren, später die Magyaren.
Als dies wilde Reitervolk, dessen verheerenden Einfällen in Deutsch-
land die großen Kaiser Heinrich und Otto ein Ziel gesetzt hatten,
seßhaft wurde und sich zum Christentums bekehrte, glaubte man die
Stürme der Völkerwanderung endlich vorübergebraust. In Ungarn
starb die einheimische Dynastie der Arpads aus, und Anjous und
Luxemburger sehen wir als Herrscher des Königreichs walten. Da
zog aber eine neue, furchtbare Gefahr herauf, nicht bloß für Ungarn,
sondern für ganz Europa. Die Osmanen begannen ihren Eroberungs-
zug, und nachdem Konstantinopel gefallen war, bildete Ungarn das
Angriffsobjekt der streitlustigen Muhammedaner. Inzwischen hatte
Habsburg das Königreich ererbt; aber es ist seines Besitzes bis etwa
um 1700 nie froh geworden. Ganz Europa seuszte unter der drohenden
Gefahr eines Einbruchs der Türken; man läutete täglich die Glocken
und veranstaltete Umlagen durchs Reich, die sogenannte Türkensteuer.
In diese Zeit versetzt uns die Handlung des Körnerschen Dramas
Zriny. Der gewaltige Sultan Soliman will, ehe sein Leben ab-
schlieft, noch eine Ruhmesthat vollbringen. Er belagert die Festung
Szigeth (rechts von der Donau), und Zriny entschließt sich, das Heer
des Bezwingers hier festzuhalten und sich für den österreichischen
Kaiserstaat zu opfern. Die Handlung des Dramas verläuft unter
so spannenden Eindrücken, der ideale Inhalt, der Tod fürs Bater-
land, hat einen solchen Reiz und packt und begeistert uns, daß die
deutsche Jugend, voran Berlin, gerade dies Drama, das doch in
Ungarn spielt, zum Ausdruck ihrer Vaterlandsbegeisterung gewählt
hat und in großen Volksaussührungen dem Publikum als leuchtendes
Beispiel hinzustellen liebt. Die Türken sind dann 1683 noch vor
Wien erschienen;' aber mit dieser letzten gewaltigen That ihres An-
griffs und der Abwehr desselben sank auch der Islam in sich zu-
sammen; von 1700 ab geht es an ein stetes Zurückweichen, und
heute betrachten wir die Türkei, wie schon oben erwähnt, als den
„kranken Mann". Also fast zwei Jahrhunderte hindurch haben die
Ungarn den Einbruch fanatisierter Feinde verhindert, später sind sie
dann selbst in das Türkenland eingedrungen, und lange Zeit erschien
ihre Volksgeschichte wie ein Lagerleben. Das hat der ganzen Nation
den tapferen Sinn eingeprägt; etwas Ritterliches umfließt die un-
garischen Geschicke, und der sagenhafte Zug, daß die Ungarn in Preß-
bürg ihre Schwerter gezogen und der hülfeflehenden Maria Therefta
zugerufen hätten moriamur pro rege nostro Maria Theresia, charak-