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1. Charakterbilder deutschen Landes und Lebens für Schule und Haus - S. 42

1875 - Leipzig : Brandstetter
42 Sieltiefen, die sich in immer kleinere Gräben verzweigen, in's Land geschnitten und mit Sielen, d. h. mit Schleusen versehen, die sich dem abfließenden Binnenwasser öffnen, dem von der Fluth aufwärts ge- triebenen Meer- oder Flußwasser aber schließen, das die Entwässerung vergeblich machen würde. Diese Deich- und Sielanlagen müssen natür- lich von ganzen Districten, Deichverbänden, gemeinschaftlich unter- nommen und unterhalten werden; ein von der Regierung gesetzter Deichgräfe und zahlreiche Unterbeamte überwachen und leiten die Deicharbeiten. Dennoch bieten die Schutzmittel, obgleich sie immer weiter vervollkommnet werden, keine vollständige Sicherheit, und das Meer, die Marsch als altes Eigenthum betrachtend, pocht mahnend jeden Winter an und scheidet selten, ohne nicht wenigstens kleine Opfer mit sich zu führen. Fast jeden Winter hört man von Deichbrüchen. Da die Häuser nicht selten landeinwärts dicht hinter dem Deiche, wo sie Schutz vor dem Winde suchen, erbaut sind, hat ein solcher Deichbruch den unmittelbaren Unter- gang jener Wohnungen zur Folge. Da gilt es verzweifelte Gegenwehr, wenn der Sturm heranbraust, um sich zu den Opfern auf der See auch Opfer auf dem Lande zu holen. Ist es doch bei einer Sturmfluth vor- gekommen, daß eine oldenburger Gemeinde einen gefährdeten Deich an einer schwachen Stelle stundenlang mit den eigenen Leibern bedeckt hat, damit nicht die Kappe, d. i. der Rücken des Dammes, hinweggespült werde, und ein Deichbruch Verderben über Felder, Vieh und Atenschen bringe. Eine der furchtbarsten Sturmfluthen der neuern Zeit war die von Weihnachten 1717. Der Wind hatte 24 Stunden lang aus Süd- West geweht, und das Wasser aus dem atlantischen Ocean durch den Kanal in die Nordsee gepeitscht; darauf war der Südwest plötzlich in Nordwest umgeschlagen und hatte das Wasser, das so schnell nicht durch den Kanal ablaufen konnte, mit furchtbarer Gewalt gegen die Küste ge- schleudert. Halem, ein oldenburger Schriftsteller, der uns eine Schilde- rung jener Weihnachtsfluth hinterlassen hat, sagt, die See sei mit der Geschwindigkeit des Wassers in einem Topf, das zu sieden beginnt, auf- gelaufen. Schon um 3 Uhr in der Nacht zerrissen die Deiche von But- jadingen, und das Wasser stieg innerhalb einer Viertelstunde 8—16 Fuß im niedrigen Lande. Das Vieh ertrank in den Häusern; viele Men- schen fanden in den Betten, oder auf Tischen und Schränken, wohin sie geflüchtet waren, den Tod; viele, die halb nackt auf Böden und Dächer geklettert waren, kamen durch Zusammensturz der Gebäude um oder starben vor Frost und Hunger. In den damaligen Grafschaften Olden- bürg und Delmenhorst, also in einem kleinen Theile des Herzogthums, wurden allein 150 Häuser zerstört; 2471 Menschen und fast doppelt so viel Pferde und Hornvieh kamen um's Leben; wie groß mag erst die Zahl der Opfer in der butjadinger Marsch gewesen sein l Ist die Deich- last in gewöhnlichen Zeiten schon beträchtlich, so steigt sie in solchen Unglücksjahren in's Unerschwingliche. Darum pflegt auch der Marsch-
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