1875 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August W.
- Auflagennummer (WdK): 10
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
Aufstehen kommen kann; namentlich gilt dies, auch in höheren Ständen,
von den Jeveranern. Wie Fische auf dem Trockenen, werden sie erst
lebendig und kordial, wenn sie gründlich angefeuchtet sind. Die Ansto-
kratie des Landes, die reichen Bauern, schlagen bei solcher Gelegenheit
furchtbare Schlachten, und die Zahl der leeren Weinflaschen, die den
Morgen nach der Festlichkeit aufgeschichtet liegen, ist ungeheuer.
Eine durch alle Stände sehr beliebte Unterhaltung ist das Kegeln,
das auf wohlgepflegten Bahnen, deren Brett die ganze Tenne hinab-
läuft, mit außerordentlich großen und schweren Kugeln in allen Jahres-
zeiten betrieben wird. Es bestehen, besonders in den Städten, zahlreiche
Kegelgesellschaften, deren Mitglieder auf ihrer Bahn so wohl eingekegelt
sind, daß ein Fremder, Wilder genannt, unmöglich mithalten kann.
Sie haben eine Menge Kunstausdrücke und entwickeln in ihrer Holz-auf-
Holz-Spiel eine Feinheit und, was wirklich merkwürdig ist, einen En-
thusiasmus, daß ich oft darüber erstaunt gewesen bin.
Im Butjadinger- und Jeverlande ist die Bevölkerung zur Winters-
zeit sehr der Belustigung des Klotschießens ergeben. Es besteht im
Werfen von schweren hölzernen, mit Blei ausgegossenen Kugeln. Nur
int Winter, wenn "ein tüchtiger „Kahlfrost", d. h. ein nicht mit Schnee-
fall verbundener Frost, die weite Marschebene zu einer felsenharten Tafel
umgeschaffen, kann dieses eigentümliche Spiel stattfinden. Zwei Par-
teien, meistens die Bewohner zweier Dörfer, fordern sich dabei zum Wetr-
kämpfe heraus und bringen eine Preissumme, manchmal 100 Thaler
und darüber betragend, zusammen, ihren höchsten Stolz darin suchend,
wer von ihnen den besten „Klotschießer" zu stellen vermag. An einem
anberaumten Tage kommen in großer Zahl die Mitglieder der beiden
Parteien unter Zuströmen vieler Zuschauer an einen: bestimmten Orte
zusammen. Ein oft stundenweit vom Platze des Auslaufs entferntes
Ziel wird festgesetzt, und jede Partei stellt ihren Kämpfer; oft auch hat
jede deren zwei, die sich ablösen, denn das Werfen ist ungemein an-
strengend. Die Kugel, „Klot" (Höcht). Kloß) genannt, wiegt meistens
ein bis anderthalb Pfund.
Der erste Klotschießer holt jetzt weit aus, nimmt einen kräftigen
Anlauf und wirft dann mit aller Leibesmacht die Kugel von sich, welche
mit ungeheuerer Vehemenz erst eine Strecke durch die Luft saust, dann den
harten Boden trifft, nun heftig wieder aufschnellt, eine Weile ricochettirend
vorwärts hüpft und endlich noch eine tüchtige Strecke rollt. Kaum liegt
die Kugel, so tritt der zweite Klotschießer auf und sucht die seine noch
möglichst weiter zu werfen. Dann geht's vorwärts, um von neuein an-
zufangen, wo das Ende des ersten Wurfs war, und so abwechselnd
Wurf auf Wurf weiter, bis die Bahn durchmessen ist.
Die Gewalt, mit welcher die Klotschießer werfen, ist so mächtig, daß
sie häufig durch den Schwung heftig zu Boden stürzen und mancher sich
schon einen Bruch geworfen hat. Daher sind immer Leute bestimmt,