1875 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August W.
- Auflagennummer (WdK): 10
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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dann ward er zu verschiedenen Zeiten unterbrochen und wieder aufgenom-
men und erst zwischen 1496 und 1519 der Hauptmasse nach vollendet —;
die soliden, dicken, aus der Tiefe emporstrebenden Umfassungsmauern er-
regen unsere Bewunderung, das Labyrinth von Treppen und Brustwehren,
von Thürmen und Gewölben versetzt uns ganz in die rauflustige Zeit des
Mittelalters. Die Schloßkapelle enthält, aus rothem Marmor gehauen,
die Statuen der 12 Apostel und die Fahne, womit Maria Theresia bei
Beginn des schleichen Krieges hülfebittend unter die Ungarn trat. Wir
lassen uns dann die drei fürstbischöflichen Zimmer, welche Erzherzog Jo-
Hann in altem, doch immer noch bescheidenem Glänze wieder herstellen ließ,
zeigen und bewundern den schönen Ofen im Rittersaal, an dem jede Kachel
eine plastisch ausgeführte Szene darstellt; dann aber eilen wir in froher
Erwartung auf den Feuerthurm, die höchste Spitze der Festung, und stehen
wie geblendet vor dem wunderherrlichen Panorama, das sich nun vor uns
ausbreitet. Wir sind 400 Fuß über dem Domplatz, dessen Kirche und
Kuppel sammt den Thürmen sich vor uns sehr bescheiden erniedrigt haben.
Der Blick in das Salzachthal hinauf, aus dem zunächst Schloß Hellbrunn
uns entgegenglänzt, dann der Dürrenberg über Hallein, ist und bleibt
auch hier oben der Glanzpunkt; die hellen Kalkwände des wie eine Niesen-
schlänge sich ausstreckenden Tännengebirges (dessen höchste Spitze der
Raucheck 7476'), aus dessen finsteren Schluchten noch Schneemassen schim-
mern, welche der Julisonne Trotz bieten, und gegenüber der hohe Göll
mit seinen grünen Voralpen, aus welchem furchtbar schön die Schroffen
in kühnem Schwung emporstarren — sie sind die gewaltigen Herrscher
des Gemäldes, welche den Blick gefangen nehmen. Dieses nackte bleiche,
grauweiße und grauschwärzliche Kalkgestein — wie wird es lebendig im Licht
der Sonne, das darüber hinspielt, Abends und Morgens seinen Gold-
glänz darüber ergießt und alle Tage immer neue Schönheiten dieser starren
Massen offenbart! Da oben gras't kein Hausthier, keine Sennhütte und
keine Alpwiese ist zu finden, nur die flüchtige leichtfüßige Gemse darf es
wagen, das spärliche Gras aus den Felsspalten zu äsen. Aber das ist's
eben, was die Hochalpen so schön macht, daß sie uns die feste Erdrinde zeigen,
die noch nicht vom Pflug des Ackerbauers zerrissen ist, daß sie uns in ein
Gebiet versetzen, in welchem die Menschenarbeit mit ihren Sorgen und
Aengsten, das Menschenleben mit seinen Täuschungen und Verkehrtheiten
gar nichts gilt. —
Es war spät geworden, als ich vom Schloßberge herabstieg, und ich
verschob den Besuch des Kapuzinerberges auf einen folgenden Tag. Auch
im Genuß des Schönsten gilt es Maaß zu halten. Nicht immer freilich ist
die Gelegenheit günstig, denn das schöne Salzburg ist nicht blos berühmt,
sondern auch berüchtigt — wegen seiner vielen Regentage. Tegernsee,
Salzburg und der Salzberg bei Hall, der letztere ganz vorzüglich, scheinen
Lieblinge des Regengottes zu sein, der am ganzen Nordabfall des Gebirges
eifrig arbeitet. Doch das Wetter blieb schön und so sreuete ich mich nicht