1907 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Gild, Andreas, Seydlitz, Ernst von
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Hessen-Nassau
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Landeskunde der Provinz Hessen-Nassau.
Niederhessen die Chatten (16). Die Usipeter an der Usa und die Tenchterer
(Tenetrer, die Niederer) an der Nidda waren von den Mattiaken, einem
chattischen Volk, aus ihren Wohnsitzen verdrängt worden. Nördlich von den
Chatten saßen an der Diemel Sachsen, östlich an den Ufern der Werra
Hermunduren (Thüringer). Die Ubier wurden später von den Chatten über
den Rheiu gedrängt, und diese nahmen die verlassenen Wohnplätze derselben
am rechten Rheinufer ein.
Der römische Geschichtschreiber Taeitus schildert die Chatten folgender--
maßen: „Dieses Volk ist ausgezeichnet durch seiue große Abhärtung, seinen
festen Gliederbau, seiueu trotzigen Blick und feurigen Mut, fowie durch die
Besonnenheit und Geschicklichkeit in der Kriegführung. Sie gehorchen den
Befehlen ihrer gewählten Führer, sind einer geordneten Heeresausstellung
kundig, wissen im Krieg die Gelegenheit wahrzunehmen, den Angriff anfzu-
schieben, für die Nacht sich zu verschanzen. Das Glück zählen sie unter die
zweifelhaften, die Tapferkeit unter die gewissen Dinge und vertrauen mehr
dem Heerführer als dem Heer. Ihre Kriegsstärke beruht auf dem Fußvolk,
welches außer feinen Waffen auch noch mit eisernen Werkzeugen und dem
nötigen Muudvorrate belastet wird. Man kann sagen: andere ziehen zur
Schlacht aus, die Chatten zum Kriege. Nur selten lassen sie sich auf Streifzüge
und unvorbereitete Gefechte ein. Was bei anderen germanischen Völkerschaften
etwas Seltenes ist und nur von einzelnen, die sich hervortun, geschieht, das
ist bei den Chatten zur Sitte geworden, daß sie nämlich Haupt- und Barthaar
wachsen lassen und erst nach Erlegung eines Feindes die Haare abscheren.
Die Tapfersten unter ihnen tragen außerdem einen eisernen Ring, was bei
diesem Volke für schimpflich gilt, als eine Fessel, das Merkmal der Knecht--
schaft, bis daß sie durch die Erlegung eines Feindes ihr Gelübde gelöst haben.
Sehr viele aber tragen diesen Ring als ein Zeichen der von ihnen gelobten
Verpflichtung zur Tapferkeit bis ins Alter und werden dadurch für die Ihrigen
und die Feiude kenntlich. Diese sind es, die den Kampf beginnen, und sie
bildeu, furchtbar anzuschauen, immer die vorderste Schlachtreihe."
Die Chatten und Sigambrer waren es besonders, die den Römern das
Vordringen in Deutschland wehrten. Daher führte Drufus, der Stiefsohn
des Kaisers Angnstus, vier Jahre lang Krieg gegen sie (12—9 v. Chr.). Er
legte Befestigungen am Rhein an, ja im Chattenlande selbst auf dem Taunus.
Nach Drnfns' Tode setzte sein Bruder Tiberius den Kamps fort, und ihm ge--
lang es dnrch List und Falschheit, die deutschen Stämme zwischen dem Rhein
und der Weser zur Unterwerfung zu bringen. Im Jahre 9 n. Chr. aber
erhoben sich die Cherusker, Chatten n. a. unter Anführung des Cherusker-
fürsten Hermann oder Arminius und vernichteten das Heer der Römer im
Teutoburger Walde. Hierbei erbeuteten die Chatten einen der drei römischen
Adler und machten viele Gefangene. Um sich zu rächen, schickte Tiberius den
Sohn des Drusus, den tapfern Germanicus, nach Deutschland. Dieser fiel
im Jahre 15 n. Chr. unerwartet in das Land der Chatten ein, zerstörte ihren
Hauptort Mattium und verwüstete das Land. Eifersüchtig auf den Kriegs--
rühm des Germanicus, rief ihn Tiberius zurück, und damit hörten die Kriegs-
züge der Römer ins Innere von Deutschland auf. Sie beschränkten sich viel--
mehr darauf, ihre Grenzen zu behaupten. Um dies besser zu können, erbauten
sie einen Grenzwall, den sogenannten Pfahlgraben, der sich in unserem Lande
vom Rhein über den Taunus bis in die Wetterau und an den Vogelsberg
und von da bis an die Mündung der Kinzig erstreckte. Diese Befestigung