1912 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Lennarz, Gottfried
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Seminar, Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
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B. Länderkunde. — Vi. Europa.
mit dem Deutschen Reiche vermitteln sieben Eisenbahnen. Aber nur die
Grenzanschlüsse über Eydtknhnen, Thorn — Alexandrowo nndkalisch —
Warschau haben Bedeutung für den internationalen Verkehr (vgl. § 359, a).
Dem Güteraustausch dienen vor allem die Häsen von Odessa, von wo Getreide-
schiffe bis in die niederrheinischen Häfen fahren, sodann die von St. Peters-
bürg und Riga. Der Njemen, auch die Weichsel führen uns Getreide
und Holz zu. Als Verkehrssprache für den Handel mit unserem Vaterlande
dient das Deutsche; es wird fast von allen gebildeten Ruffen verstanden.
Tii. Bevölkerung. Sie gehört vorwiegend zu den Ostslawen: Russen
machen zwei Drittel der Bewohner aus. So zeigt auch die Bewohnerschaft eine
gewisse Einheitlichkeit. Die Weißrussen blieben in ihren alten Wohnsitzen im West-
liehen Binnenlande und mischten sich daher nicht mit andern Völkern, im Gegensatz
zu den Großrussen, den meist Wald- und Ackerbau treibenden Bewohnern des
oberen Wolgagebietes; diese vermischten sich vielfach mit Mongolen und breiteten sich
über das nördliche, östliche und südöstliche Rußland aus. Weit verschieden von diesen
beiden vorwiegend blonden Stämmen sind durch Sprache, höheren Wuchs und
dunkelbraune Haarfarbe die Kleinrussen, die Viehzüchter des Sw. Zwischen
den westslawischen Litauern, Letten und Polen wohnen zahlreiche Judeu, die~
im ganzen fast 4% der Bewohner ausmachen. Die finnischen Völkerschaften,
mongolischer Herkunft, sind stark gemischt mit Schweden, Deutschen und Russen. Die
Lappen und Samojeden zeigen rein mongolisches Aussehen. Unter den Mou-
goleu im So weisen die Kalmücken den häßlichsten Typns auf. Deutsche gibt
es in Rußland etwa 1,5 Mill. Die deutschen Ackerbaukolonisten in Süd rußland und
an der Wolga halten ebenso zähe an ihrer Muttersprache fest wie die deutschen Guts-
besitzer und Kaufleute in den Baltischen Provinzen. Zahlreiche Deutsche wohnen
in Polen, und in St. Petersburg wird die Zahl der Deutscheu auf 100 000 Köpfe
geschätzt. Deutsche Geistesbildung ist in Rußland mehr verbreitet als die irgend-
eines andern Kulturvolkes. Durch Deutsche und Schweden haben die Baltischen Pro-
vinzen eine weit höhere Kulturstufe erlangt als das übrige Rußland. (Vgl. § 347,1.)
Die Russen zeichnen sich durch Sinnigkeit, Gemütstiefe und Nationalstolz aus,
vereinigen aber mit Höflichkeit und Unterwürfigkeit große Verschmitztheit. Die un-
bezwingliche Rauheit der Natur hat sie zur Genügsamkeit, Geduld und Unter-
würfigkeit, aber auch zum Glauben an das unabänderliche Schicksal erzogen, so daß
ihnen mit Ausnahme der Kosaken die rechte Tatkrast fehlt. Der lange Winter regte
die Großrussen zur Gewerbtätigkeit an und bildete Handgeschicklichkeit, Handels-
tüchtigkeit (Hausiertätigkeit) und praktischen Sinn bei ihnen aus. Der Geist der
Russen ist unselbständig, Wahrheitssinn wird durch blinden Glauben ersetzt; für
geistige Interessen zeigt das gewöhnliche Volk sehr geringes Verständnis, und die
Volksbildung steht noch auf niedriger Stufe.
Abgesehen von den Schattenseiten des russischen Volkscharakters besteht auch in
der geringen Volksdichte (25 E. auf 1 qkm) eine Schwäche des Riesenstaates.
Drei Viertel der Bevölkerung, alle Russen, sind durch eine Religion geeint in der
unter dem Zaren als Oberhaupt stehenden griechisch-orthodoxen Kirche. Die
übrigen Bewohner bilden wie nach Abstammung, so auch nach Religion ein buntes
Gemisch. Die meisten Anhänger zählt noch die katholische Kirche (Polen und
Litauer). Evangelisch sind sast alle Deutschen.
Das Russische Reich ist ein Verfassungsstaat, doch ist dem Volke nur ein
beschränkter Anteil an der Regierung eingeräumt. Das politische Streben der