1909 -
Berlin [u.a.]
: Oldenbourg
- Autor: Geistbeck, Alois, Fischer, Heinrich, Geistbeck, Michael
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Mädchenschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Mädchen
Das Deutsche Reich. 71
Erst nach der Errichtung des Deutschen Reiches traten in Deutsch-
land Kolonialbestrebungen wieder kräftiger hervor. Der Handel nahm jetzt einen
ungeahnten Aufschwung und man fühlte nun stärker als je den Mangel eigener
Kolonien. Da entschloß sich denn die Reichsregierung zu tatkräftigem Vorgehen, und
die Erwerbung und Besitznahme der deutschen Kolonien geschah jetzt in rascher Folge.
Im Juli 1884 ward die deutsche Flagge zuerst an der südwestafrikanischen Küste
gehißt, dann in Togo und Kamerun, ferner im Februar 1885 der kaiserliche Schutz-
dries an die deutfchostafrikanische Gesellschaft erteilt. Des weiteren traten dann die
Besitzungen in der Südsee und das Pachtgebiet von Kiautschou hinzu.
Notwendigkeit von Kolonien für das Deutsche Reich. Die Hauptgründe
hierfür sind folgende:
Deutschland benötigt für seine stark anwachsende Bevölkerung — beträgt doch
gegenwärtig der jährliche Zuwachs mehr als 800000 Seelen — Siedelungs-
kolonien. Bis in die jüngste Zeit suchten sämtliche deutschen Auswanderer fremde
Gebiete auf, vor allem die Ver.-Staaten von Amerika (1821—1906 über 5 Mill.).
Infolgedessen gingen sie nicht nur unserem Volkstum verloren, auch ihre Arbeitskraft
kani fremden Völkern zugute und größtenteils sogar unseren wirtschaftlichen Gegnern.
Allerdings eignen sich die deutschen Schutzgebiete nur in beschränktem Maße als Aus-
Wanderungsgebiete für unsere Landsleute; immerhin beträgt das gesamte Siede-
lungsgebiet der deutschen Kolonien an 70 Mill. ha, ist also um ein
reichliches Viertel größer als das deutsche Mutterland und macht 1u des deutschen
Kolonialreiches aus *).
Deutschland hat jährlich für tropische Rohstoffe, deren es für seine
Industrie bedarf, so für Baumwolle, Kautschuk, Hanf, Ölprodukte, Häute, Elfenbein usw.,
ebenso für tropische Genußmittel, wie Kaffee, Tee, Kakao, ganz gewaltige Summen
aufzuwenden (zu Anfang unseres Jahrhunderts bereits rund 1 Milliarde Mark) und
dieser bedeutende Aufwand für die genannten Produkte fließt bisher zum allergrößten
Teile in fremdländische Kolonien. Dagegen ermöglicht der Besitz eigener Kolonien
unserem Vaterlande, einen größeren Teil seines Bedarfs an tropischen Rohstoffen und
Genußmitteln selbst zu decken und sich dadurch von der Einfuhr aus fremden Kolonien
bis zu einem gewissen Grade unabhängig zu machen. Anfänge hierzu, wenn auch
vorerst nur bescheidene, sind in Bezug auf Baumwolle, Kakao, Kautschuk usw. bereits
gemacht^).
Unsere hochentwickelte Industrie bedarf sicherer Absatzmärkte, da sie
weit über den Bedarf des Heimatlandes Erzeugnisse liefert (Ausfuhr der Fabrikate 1906:
über 4 Milliarden Mark). Diese Sicherung des Absatzes erscheint um so dringlicher,
als die meisten Großstaaten (Rußland, Frankreich, Amerika) durch hohe Schutzzölle sich
abschließen. Selbst in Großbritannien, das noch den Grundsatz des Freihandels hoch-
hält, besteht schon eine starke Strömung, das ganze britische Reich zu einem Zollbund
zu vereinigen und die Einfuhr andern Ländern zu erschweren. So nötigt uns auch
') Nach Staatssekretär von Dernburg sind sogar zweimal die Flächen Deutschlands
in unseren Kolonien Ansiedelungsgebiete.
Volkswirtschaftlich w ichtigeroh st offeundprodukte. Das Deutsche
Reich bezog i. I. 1906 vom Auslande:
Baumwolle..........für 480 Vz Mill.mk. j für 0,6 Mill.mk.
Sisal- und Sansevierenhcmf . ... „ 172 3/4 „ „ davon „ 1,35 „ „
Kautschuk und Guttapercha . ... „ 153 V«, „ „ aus den „ 7,0 „ „
Ölprodukte..........„ 214 V« „ „ deutschen „ 7,25 „ „
Tropische Nahrungs- und Genußmittel „ 433 „ „ Kolonien „ 1,7 „ „
Kupfer............ 235-/4 " „ ?