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1. Europa - S. 160

1902 - Halle a. d. S. : Schroedel
— 160 — Das Wolgagebiet ist, abgesehen von dem Tieflande um den Unterlauf, reich an großen Wäldern lind ausgedehnten Ackerflächen mit vor- wiegendem Getreide-, Flachs- und Hanfbau. Von der mittleren Wolga nach Sw. bis an die rumänisch-galizische Grenze (also weit über das Wolgagebiet hinaus) erstreckt sich eine Zone mit sehr starkem Ackerbau, die eigeutliche Kornkammer Rußlands, in welcher der Waldstand ganz zurücktritt. Auf dem schwarzen, fetten Tschernosemboden ist die Fruchtbarkeit des Bodens geradezu erstaunlich. Ohne den Acker zu düngen, baut man Weizen, Roggen, Mais; die Futterkräuter, z. 33. Klee, Luzerne und Esparsette, erreichen unglaubliche Höhen. Die Bauerudörfer folgen hier viel dichter aufeinander als in den waldreichen Gegenden, wie denn auch die reinlichen und fchmuckeu Bauernhäuser größeru Wohlstaud der Bevölkerung verraten. Die Bevölkerung des Wolgagebiets besteht fast ausschließlich aus Großrussell, welche den Hauptbestandteil der russischen Nation ausmachen und sich anch in allen andern Teilen des Reichs vorfinden. Sie bilden auch die Hauptmasse der g r i e ch i s ch - o r t h o d o x e u Christenheit. Eingestreut in die geschlossene Bevölkerung der Groß russen sind um die mittlere Wolga die Wolga-Finnen und weiter abwärts an der Wolga deutsche Ansiedler. Diese sind fast ans- schließlich evangelisch. Die Grotzrussen sind die Hauptvertreter des Rusfentums. Ihre Gesamt- zahl beträgt etwa 60 Mill. Der Großrusse ist von kräftigem, etwas ge- drungenem Körperbau, mit starkem Nacken und breiten Schultern. Der Ge- sichtsausdruck ist offen, das Auge heiter, seine Gesichtsfarbe ein über das ganze Gesicht verbreitetes helles Rot. sein Haar lichtbraun, goldigrot oder blond, sein Bart voll und gelockt. (Dunkelhaarige Großrussen sind selten.) Sein Gang ist rasch und fest, und seine Bewegungen zeigen Leichtigkeit und geschickte Ve- hendigkeit. Der Grundzug seines Wesens ist leichter Sinn und unverwüst- liche Fröhlichkeit. Aus diesem sanguinischen Temperament erklärt sich seine Geselligkeit und Gesprächigkeit, sein Geschmack an leichter Unterhaltung und unschuldigen Spielen, sowie seine ans Unglaubliche grenzende Sorglosigkeit um die Zukunft. Trotz seines melancholischen Volksgesanges besitzt er einen unbesiegbaren Hang zur Heiterkeit, zu Witz und Scherz in der Unterhaltung. Seine Liebe zur Kinderwelt ist sprichwörtlich. Der Großrusse ist menschen- freundlich, gutmütig und mildtätig, namentlich auch gegen Gefangene, in denen er niemals Verbrecher, sondern „Unglückliche" sieht. Seine Gastfreundschaft ist weltberühmt, und seine Tapferkeit oft erprobt. Er steht im Kampfe wie ein Fels, kennt keine Gefahr, folgt feinem Führer blindlings und erträgt die um glaublichsten Mühseligkeiten und Strapazen. Doch hat sein Charakter auch bedenkliche Schattenseiten. Der Hang zur Heiterkeit und zum lustigen Leben verleitet ihn zur Genußsucht, und diese wiederum führt zur Habsucht, Mißachtung fremden Eigentums, _zur Geldgier und Verschwendung. Diebstahl ist ein Nationalfehler der Großrussen. „Wenn der Deutsche stiehlt", sagte einst ein gebildeter Russe, „tut er es, um Weib und Kind zu versorgen; der Russe stiehlt nur, um Gelüste des Augenblicks zu be friedigen". Aus der Genußsucht entspringt auch das Laster der Völlerei und der Trunksucht. Von täglichen körperlichen Reinigungen ist der Großrusse kein Freund. Dafür nimmt er aber am Sonnabend Abend eine mit Dampfbad verbundene Generalreinigung vor, die seiner Gesundheit sehr zuträglich ist. Geistig außerordentlich begabt, erfaßt er alles ohne großemühe. Namentlich ist sein Sprachtalent bewunderungswürdig. Die kleinen Kaufleute in dem Stadtteil von St. Petersburg, in welchem namentlich Matrosen fremder
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