1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
wir freilich, wenn wir Reiter oder ein Nomadenlager „sähen, als ehrliche
Pilger direkt dorthin reiten; aber wir mußten doch Ördek^) Gelegenheit
geben, vorher unbemerkt zu verschwinden und nach dem Lager Nr. Xliv
zurückzureiten.
Die Richtung ist Ostsüdost. Im Osten erhebt sich ein gewaltiges
Schneemassiv, und diesseits desselben liegt ein See von reinblauer Farbe.
Am Seeufer, längs dessen wir nach Südosten hatten ziehen wollen, stiegen
senkrechte, wie immer ziegelrote Sandsteinfelsen, das gewöhnliche Kennzeichen
der tibetischen Landschaft, unmittelbar aus dem Wasser empor. Sie zwangen
uns zu einem verdrießlichen Umwege nach Südwesten über beschwerliche
Hügel, hinter denen wir wieder ans Ufer gelangen und an ihm auf viel
bequemerem Terrain weiterziehen konnten. Konzentrisch längs des Ufers
geordnete Absätze und Wälle lassen auf den ersten Blick erkennen, daß dieser
Salzsee im Austrockuen begriffen ist . . .
Sobald wir in das Tal, in welchem ein Bach strömte, eintraten, nahm
die Steigung zu und wurde bald steil. Wir verließen das Tal und ritten
über Hügel von rotem, pulverisiertem Sandstein im Zickzack zum Passe
hinauf. Von dort kamen wir einen steilen Abhang in ein ziemlich breites,
südostwärts führendes Tal hinunter. In einer Talweitung lag der Kadaver
eines Schafes mit seiner Last, die aus Salz in einem zweiteiligen Beutel
bestand. Wahrscheinlich hatte eine tibetanische Schafkarawane unsere kleinen
Räuberseen besucht, wo das Salz an einigen Stellen offenliegt und leicht
erreichbar ist, und wo wir auch Spuren einer Herde gesehen hatten. Feuer-
statten werden immer häufiger; von tibetischen Mahlzeiten übriggebliebene
Knochen und Schädel liegen umher.
(3. Unsicherheit.) Als unser Tal nach Südwesten abschwenkte, ver-
ließen wir es und ritten über die nächste Bergkette, wo Schagdnr^) bald
einen ziemlich stark benutzten Weg entdeckte. Von dem Passe hatten wir
wieder eine umfangreiche, obgleich wenig aufmunternde Aussicht: Berge und
Kämme überall, soweit der Blick nach Süden und Südosten reichte. Kein
Mensch, kein schwarzes Zelt in Sehweite! Wir hatten also noch eine Frist
vor neugierigen Blicken; aber wir ahnten doch, daß verborgene, schleichende
Späher uns nicht aus den Angen ließen. Der Himmel ist bleischwer und
düster, und die Stundeu vergehen langsam und ermüdend. Auch der Tag
hat seine Spannung; wir wissen nichts von diesem Lande und seinen Ver-
Hältnissen; aber wir sind überzeugt, daß früher oder später etwas Außer-
gewöhnliches eintreten wird. Wir müssen jede Minute auf unserer Hut
sein, sonst wird uns ein Streich gespielt, wenn wir es am wenigsten er-
warten.
Von^ dem Passe folgten wir einem deutlich ausgetretenen Wege, der in
ein an Sümpfen, Tümpeln, Quellen, Bächen und üppiger Weide reiches
Tal hinunterführte. Der in Hülle und Fülle vorhandene Yakdung war
hier umgedreht worden, um besser zu trocknen; man beabsichtigte also, wieder-
zukommen und ihn zu holen. Überall waren Spuren von Nomadenlagern
sichtbar. Weiter abwärts schien die Weide abzunehmen. Als wir einen
strategisch geeigneten Platz fanden, beschlossen wir daher, für die Nacht
*) Ein Begleiter Sven von Hedins.
2) Ein anderer Begleiter Sven von Hedins.